Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Wir können Gott nur nach Verhältnißähnlichkeiten aus Jnstruktion kennen lernen, unsre Jntelligenz kann sich bloß formale Gegenstände vorstellen, und Jntelligenzen als Entia rationis denken. Aus obigem Gange aber des menschlichen Denkens könnten wir auch noch einiges Nützliche ziehen. Es giebt z.B. kranke Menschen, die eine verrückte, zerstörte oder nur verderbte Einbildungskraft haben, die entweder zu schnell producirt, oder auch zu wenig reproducirt. Jm ersten Falle reden diese unglücklichen Personen das Hundertste ins Tausende, alles durch einander; denn das Bild verlöscht sogleich wieder, und die Einbildungskraft ist inreproducibel. Jm andern Falle aber reproducirt sie wieder zu lange anhaltend, sie fixirt Bilder oder Sachen, und ist nicht davon abzubringen, oder sie treten auch gleich wieder in sie ein. Sollten sich nun keine Mittel für solche bemitleidenswürdige Personen, ihnen dadurch zu helfen, erfinden lassen? Jch habe zwar einen Mann im Hollsteinischen gekannt, der solche Personen kurirte. Allein seine Methode war grausam. Er legte seinen Patienten, von der ersten Sorte, ein Bild vor, das sie unverrückt anschauen, ganze Stunden davor stehen bleiben, und das Bild beschreiben oder nennen mußten. Rührten sie sich nun etwa von der Stelle, oder sprachen nicht vom Bilde, so karbatschte er sie, und Wir koͤnnen Gott nur nach Verhaͤltnißaͤhnlichkeiten aus Jnstruktion kennen lernen, unsre Jntelligenz kann sich bloß formale Gegenstaͤnde vorstellen, und Jntelligenzen als Entia rationis denken. Aus obigem Gange aber des menschlichen Denkens koͤnnten wir auch noch einiges Nuͤtzliche ziehen. Es giebt z.B. kranke Menschen, die eine verruͤckte, zerstoͤrte oder nur verderbte Einbildungskraft haben, die entweder zu schnell producirt, oder auch zu wenig reproducirt. Jm ersten Falle reden diese ungluͤcklichen Personen das Hundertste ins Tausende, alles durch einander; denn das Bild verloͤscht sogleich wieder, und die Einbildungskraft ist inreproducibel. Jm andern Falle aber reproducirt sie wieder zu lange anhaltend, sie fixirt Bilder oder Sachen, und ist nicht davon abzubringen, oder sie treten auch gleich wieder in sie ein. Sollten sich nun keine Mittel fuͤr solche bemitleidenswuͤrdige Personen, ihnen dadurch zu helfen, erfinden lassen? Jch habe zwar einen Mann im Hollsteinischen gekannt, der solche Personen kurirte. Allein seine Methode war grausam. Er legte seinen Patienten, von der ersten Sorte, ein Bild vor, das sie unverruͤckt anschauen, ganze Stunden davor stehen bleiben, und das Bild beschreiben oder nennen mußten. Ruͤhrten sie sich nun etwa von der Stelle, oder sprachen nicht vom Bilde, so karbatschte er sie, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0035" n="35"/><lb/> <p>Wir koͤnnen Gott nur nach Verhaͤltnißaͤhnlichkeiten aus Jnstruktion kennen lernen, unsre Jntelligenz kann sich bloß formale Gegenstaͤnde vorstellen, und Jntelligenzen als <hi rendition="#b">Entia rationis</hi> denken. Aus obigem Gange aber des menschlichen Denkens koͤnnten wir auch noch einiges Nuͤtzliche ziehen. Es giebt z.B. kranke Menschen, die eine verruͤckte, zerstoͤrte oder nur verderbte Einbildungskraft haben, die entweder zu schnell producirt, oder auch zu wenig reproducirt. Jm ersten Falle reden diese ungluͤcklichen Personen das Hundertste ins Tausende, alles durch einander; denn das Bild verloͤscht sogleich wieder, und die Einbildungskraft ist inreproducibel. Jm andern Falle aber reproducirt sie wieder zu lange anhaltend, sie fixirt Bilder oder Sachen, und ist nicht davon abzubringen, oder sie treten auch gleich wieder in sie ein. Sollten sich nun keine Mittel fuͤr solche bemitleidenswuͤrdige Personen, ihnen dadurch zu helfen, erfinden lassen? </p> <p>Jch habe zwar einen Mann im Hollsteinischen gekannt, der solche Personen kurirte. Allein seine Methode war grausam. Er legte seinen Patienten, von der ersten Sorte, ein Bild vor, das sie unverruͤckt anschauen, ganze Stunden davor stehen bleiben, und das Bild beschreiben oder nennen mußten. </p> <p>Ruͤhrten sie sich nun etwa von der Stelle, oder sprachen nicht vom Bilde, so karbatschte er sie, und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0035]
Wir koͤnnen Gott nur nach Verhaͤltnißaͤhnlichkeiten aus Jnstruktion kennen lernen, unsre Jntelligenz kann sich bloß formale Gegenstaͤnde vorstellen, und Jntelligenzen als Entia rationis denken. Aus obigem Gange aber des menschlichen Denkens koͤnnten wir auch noch einiges Nuͤtzliche ziehen. Es giebt z.B. kranke Menschen, die eine verruͤckte, zerstoͤrte oder nur verderbte Einbildungskraft haben, die entweder zu schnell producirt, oder auch zu wenig reproducirt. Jm ersten Falle reden diese ungluͤcklichen Personen das Hundertste ins Tausende, alles durch einander; denn das Bild verloͤscht sogleich wieder, und die Einbildungskraft ist inreproducibel. Jm andern Falle aber reproducirt sie wieder zu lange anhaltend, sie fixirt Bilder oder Sachen, und ist nicht davon abzubringen, oder sie treten auch gleich wieder in sie ein. Sollten sich nun keine Mittel fuͤr solche bemitleidenswuͤrdige Personen, ihnen dadurch zu helfen, erfinden lassen?
Jch habe zwar einen Mann im Hollsteinischen gekannt, der solche Personen kurirte. Allein seine Methode war grausam. Er legte seinen Patienten, von der ersten Sorte, ein Bild vor, das sie unverruͤckt anschauen, ganze Stunden davor stehen bleiben, und das Bild beschreiben oder nennen mußten.
Ruͤhrten sie sich nun etwa von der Stelle, oder sprachen nicht vom Bilde, so karbatschte er sie, und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/35>, abgerufen am 27.07.2024. |