Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Die seynsollende Satyre gegen die Empfindsamkeit gerieth nun freylich ziemlich grob, indem er sie mit einer Seuche verglich, vor der man sich zu hüten habe, und jedem, der aus einer Gegend käme, wo die Empfindsamkeit herrschte, den Eingang in Städte und Dörfer versperren müßte. -- Dieser Unwille war vorzüglich durch die empfindsamen Reisen, die nach und nach in Deutschland erschienen, und durch die vielen affektirten Nachahmungen von Werthers Leiden, bei Reisern erweckt worden, ob er sich gleich selber auch heimlich dieser Sünde anklagen mußte; um desto heftiger suchte er nun auch zugleich zu seiner eigenen Besserung dagegen zu eifern. Gerade, da er eines Abends an dieser Abhandlung schrieb, trat der Buchdrucker P... aus H.... in die Stube, und brachte ihm einen Brief von Philipp Reisern. Dies war eben der Buchdrucker für den er in H.... eine Anzahl kleiner Neujahrswünsche verfertigt, und sich zum erstenmal in denselben gedruckt gesehen hatte. Als Reiser den Buchdrucker vor die Thür hinaus begleitete, drückte ihm dieser ein kleines Goldstück in die Hand, welches hinlänglich war, einen Menschen, der nun seit einigen Wochen schon ganz von Gelde entblößt war, und sich doch seinen Mangel nicht wollte merken lassen, auf einmal aus dem Staube zu heben. Die seynsollende Satyre gegen die Empfindsamkeit gerieth nun freylich ziemlich grob, indem er sie mit einer Seuche verglich, vor der man sich zu huͤten habe, und jedem, der aus einer Gegend kaͤme, wo die Empfindsamkeit herrschte, den Eingang in Staͤdte und Doͤrfer versperren muͤßte. — Dieser Unwille war vorzuͤglich durch die empfindsamen Reisen, die nach und nach in Deutschland erschienen, und durch die vielen affektirten Nachahmungen von Werthers Leiden, bei Reisern erweckt worden, ob er sich gleich selber auch heimlich dieser Suͤnde anklagen mußte; um desto heftiger suchte er nun auch zugleich zu seiner eigenen Besserung dagegen zu eifern. Gerade, da er eines Abends an dieser Abhandlung schrieb, trat der Buchdrucker P... aus H.... in die Stube, und brachte ihm einen Brief von Philipp Reisern. Dies war eben der Buchdrucker fuͤr den er in H.... eine Anzahl kleiner Neujahrswuͤnsche verfertigt, und sich zum erstenmal in denselben gedruckt gesehen hatte. Als Reiser den Buchdrucker vor die Thuͤr hinaus begleitete, druͤckte ihm dieser ein kleines Goldstuͤck in die Hand, welches hinlaͤnglich war, einen Menschen, der nun seit einigen Wochen schon ganz von Gelde entbloͤßt war, und sich doch seinen Mangel nicht wollte merken lassen, auf einmal aus dem Staube zu heben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0018" n="18"/><lb/> <p>Die seynsollende Satyre gegen die Empfindsamkeit gerieth nun freylich ziemlich grob, indem er sie mit einer Seuche verglich, vor der man sich zu huͤten habe, und jedem, der aus einer Gegend kaͤme, wo die Empfindsamkeit herrschte, den Eingang in Staͤdte und Doͤrfer versperren muͤßte. — Dieser Unwille war vorzuͤglich durch die empfindsamen Reisen, die nach und nach in Deutschland erschienen, und durch die vielen affektirten Nachahmungen von <hi rendition="#b">Werthers Leiden,</hi> bei Reisern erweckt worden, ob er sich gleich selber auch heimlich dieser Suͤnde anklagen mußte; um desto heftiger suchte er nun auch zugleich zu seiner eigenen Besserung dagegen zu eifern. </p> <p>Gerade, da er eines Abends an dieser Abhandlung schrieb, trat der Buchdrucker P... aus H.... in die Stube, und brachte ihm einen Brief von <hi rendition="#b">Philipp Reisern.</hi> Dies war eben der Buchdrucker fuͤr den er in H.... eine Anzahl kleiner Neujahrswuͤnsche verfertigt, und sich zum erstenmal in denselben gedruckt gesehen hatte. </p> <p>Als Reiser den Buchdrucker vor die Thuͤr hinaus begleitete, druͤckte ihm dieser ein kleines Goldstuͤck in die Hand, welches hinlaͤnglich war, einen Menschen, der nun seit einigen Wochen schon ganz von Gelde entbloͤßt war, und sich doch seinen Mangel nicht wollte merken lassen, auf einmal aus dem Staube zu heben. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0018]
Die seynsollende Satyre gegen die Empfindsamkeit gerieth nun freylich ziemlich grob, indem er sie mit einer Seuche verglich, vor der man sich zu huͤten habe, und jedem, der aus einer Gegend kaͤme, wo die Empfindsamkeit herrschte, den Eingang in Staͤdte und Doͤrfer versperren muͤßte. — Dieser Unwille war vorzuͤglich durch die empfindsamen Reisen, die nach und nach in Deutschland erschienen, und durch die vielen affektirten Nachahmungen von Werthers Leiden, bei Reisern erweckt worden, ob er sich gleich selber auch heimlich dieser Suͤnde anklagen mußte; um desto heftiger suchte er nun auch zugleich zu seiner eigenen Besserung dagegen zu eifern.
Gerade, da er eines Abends an dieser Abhandlung schrieb, trat der Buchdrucker P... aus H.... in die Stube, und brachte ihm einen Brief von Philipp Reisern. Dies war eben der Buchdrucker fuͤr den er in H.... eine Anzahl kleiner Neujahrswuͤnsche verfertigt, und sich zum erstenmal in denselben gedruckt gesehen hatte.
Als Reiser den Buchdrucker vor die Thuͤr hinaus begleitete, druͤckte ihm dieser ein kleines Goldstuͤck in die Hand, welches hinlaͤnglich war, einen Menschen, der nun seit einigen Wochen schon ganz von Gelde entbloͤßt war, und sich doch seinen Mangel nicht wollte merken lassen, auf einmal aus dem Staube zu heben.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/18>, abgerufen am 26.07.2024. |