Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.Bei dieser Gelegenheit wurde er nun immer offner gegen Reisern, und erzählte ihm von den mannigfaltigen Unterdrückungen, denen er von seiner Kindheit, von seinen Anverwandten und von seinen Lehrern ausgesetzt war, und nachher alle die Streiche des Schicksals nach einander, die ihn bis in den Staub darniedergebeugt hatten; so daß Reiser im auffahrenden Unwillen sich nicht enthalten konnte, die Verkettung hämisch zu nennen, worin ein denkendes und empfindendes Wesen gleichsam absichtlich so eingeengt und gequält wird. Während daß nun Reiser auf diese Art seinen Unwillen äußerte, verzog sich Sauers Mund zu einem sanften Lächeln, wodurch er freylich über diesen Unwillen erhaben, aber auch zugleich von den irrdischen Banden schon gelöst war, und seiner baldigen vollkommenen Befreiung ahndungsvoll entgegen sahe. -- Sein Kampf war beinahe durchgekämpft, er brauchte weiter keine widerstehende Kraft, keinen Trotz gegen das Schicksal. -- Demohngeachtet loderte die Lebensflamme noch manchmal wieder in ihm auf. Er hoffte zuweilen noch glückliche Tage zu sehen, und hatte einen großen Eifer zur Erlernung des Englischen, weil er sich von diesem seinem Studium viel versprach, um vorzüglich die in der englischen Sprache geschriebenen medizinischen Werke zu nutzen, und dann auch durch Uebersetzungen aus dem Englischen Geld zu erwerben. Bei dieser Gelegenheit wurde er nun immer offner gegen Reisern, und erzaͤhlte ihm von den mannigfaltigen Unterdruͤckungen, denen er von seiner Kindheit, von seinen Anverwandten und von seinen Lehrern ausgesetzt war, und nachher alle die Streiche des Schicksals nach einander, die ihn bis in den Staub darniedergebeugt hatten; so daß Reiser im auffahrenden Unwillen sich nicht enthalten konnte, die Verkettung haͤmisch zu nennen, worin ein denkendes und empfindendes Wesen gleichsam absichtlich so eingeengt und gequaͤlt wird. Waͤhrend daß nun Reiser auf diese Art seinen Unwillen aͤußerte, verzog sich Sauers Mund zu einem sanften Laͤcheln, wodurch er freylich uͤber diesen Unwillen erhaben, aber auch zugleich von den irrdischen Banden schon geloͤst war, und seiner baldigen vollkommenen Befreiung ahndungsvoll entgegen sahe. — Sein Kampf war beinahe durchgekaͤmpft, er brauchte weiter keine widerstehende Kraft, keinen Trotz gegen das Schicksal. — Demohngeachtet loderte die Lebensflamme noch manchmal wieder in ihm auf. Er hoffte zuweilen noch gluͤckliche Tage zu sehen, und hatte einen großen Eifer zur Erlernung des Englischen, weil er sich von diesem seinem Studium viel versprach, um vorzuͤglich die in der englischen Sprache geschriebenen medizinischen Werke zu nutzen, und dann auch durch Uebersetzungen aus dem Englischen Geld zu erwerben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0014" n="14"/><lb/> <p>Bei dieser Gelegenheit wurde er nun immer offner gegen Reisern, und erzaͤhlte ihm von den mannigfaltigen Unterdruͤckungen, denen er von seiner Kindheit, von seinen Anverwandten und von seinen Lehrern ausgesetzt war, und nachher alle die Streiche des Schicksals nach einander, die ihn bis in den Staub darniedergebeugt hatten; so daß Reiser im auffahrenden Unwillen sich nicht enthalten konnte, die Verkettung haͤmisch zu nennen, worin ein denkendes und empfindendes Wesen gleichsam absichtlich so eingeengt und gequaͤlt wird. </p> <p>Waͤhrend daß nun Reiser auf diese Art seinen Unwillen aͤußerte, verzog sich Sauers Mund zu einem sanften Laͤcheln, wodurch er freylich uͤber diesen Unwillen erhaben, aber auch zugleich von den irrdischen Banden schon geloͤst war, und seiner baldigen vollkommenen Befreiung ahndungsvoll entgegen sahe. — Sein Kampf war beinahe durchgekaͤmpft, er brauchte weiter keine widerstehende Kraft, keinen Trotz gegen das Schicksal. — </p> <p>Demohngeachtet loderte die Lebensflamme noch manchmal wieder in ihm auf. Er hoffte zuweilen noch gluͤckliche Tage zu sehen, und hatte einen großen Eifer zur Erlernung des Englischen, weil er sich von diesem seinem Studium viel versprach, um vorzuͤglich die in der englischen Sprache geschriebenen medizinischen Werke zu nutzen, und dann auch durch Uebersetzungen aus dem Englischen Geld zu erwerben. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0014]
Bei dieser Gelegenheit wurde er nun immer offner gegen Reisern, und erzaͤhlte ihm von den mannigfaltigen Unterdruͤckungen, denen er von seiner Kindheit, von seinen Anverwandten und von seinen Lehrern ausgesetzt war, und nachher alle die Streiche des Schicksals nach einander, die ihn bis in den Staub darniedergebeugt hatten; so daß Reiser im auffahrenden Unwillen sich nicht enthalten konnte, die Verkettung haͤmisch zu nennen, worin ein denkendes und empfindendes Wesen gleichsam absichtlich so eingeengt und gequaͤlt wird.
Waͤhrend daß nun Reiser auf diese Art seinen Unwillen aͤußerte, verzog sich Sauers Mund zu einem sanften Laͤcheln, wodurch er freylich uͤber diesen Unwillen erhaben, aber auch zugleich von den irrdischen Banden schon geloͤst war, und seiner baldigen vollkommenen Befreiung ahndungsvoll entgegen sahe. — Sein Kampf war beinahe durchgekaͤmpft, er brauchte weiter keine widerstehende Kraft, keinen Trotz gegen das Schicksal. —
Demohngeachtet loderte die Lebensflamme noch manchmal wieder in ihm auf. Er hoffte zuweilen noch gluͤckliche Tage zu sehen, und hatte einen großen Eifer zur Erlernung des Englischen, weil er sich von diesem seinem Studium viel versprach, um vorzuͤglich die in der englischen Sprache geschriebenen medizinischen Werke zu nutzen, und dann auch durch Uebersetzungen aus dem Englischen Geld zu erwerben.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/14>, abgerufen am 26.07.2024. |