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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.

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ihm nach und nach verloren geht, und daß er selbst wieder in den Gemüthszustand gesetzet wird, welcher zur Erfüllung seiner Pflichten als Mensch und Weltbürger am zuträglichsten ist.

Allein es kann mir eingewendet werden: Wie vertragen sich mit dieser Hypothese folgende Erfahrungen? Niemand weint leichter als Kinder und Greise; auch weint ja der Leidende nicht allein, sondern auch der Freudige vergießt bisweilen Thränen. --

Jch antworte: So oft die Natur, nicht aber die Kunst, die so vieles erkünstelt, Thränen sich ergießen läßt, so sind Eindrücke dem Gemüthe überbracht worden, die zu heftig und daher dem vortheilhaftesten Gemüthszustande nicht zuträglich sind.

Allzugroße Freude kann tödten; und oft ist es vielleicht allein das Werk der fließenden Thränen, daß dieser Erfolg verhindert wird. Das Kind und der Greis müßen mehr und leichter weinen, als der gesetzte und der gebildete Mann, weil geringere Grade des Angenehmen und des Unangenehmen sie schon viel tiefer rühren, und viel leichter und empfindlicher ihren Gemüthszustand verändern.

Uebrigens untersuchten wir hier auch nur, was die Natur durch die Thränen bei dem Traurigen bewirken läßt; und in dieser Rücksicht verdient noch die allgemeine Erfahrung bemerkt zu werden; daß der Mensch vielmehr leidet, dessen Körperbau die leichtere Ergießung der Thränen verhindert.



ihm nach und nach verloren geht, und daß er selbst wieder in den Gemuͤthszustand gesetzet wird, welcher zur Erfuͤllung seiner Pflichten als Mensch und Weltbuͤrger am zutraͤglichsten ist.

Allein es kann mir eingewendet werden: Wie vertragen sich mit dieser Hypothese folgende Erfahrungen? Niemand weint leichter als Kinder und Greise; auch weint ja der Leidende nicht allein, sondern auch der Freudige vergießt bisweilen Thraͤnen. —

Jch antworte: So oft die Natur, nicht aber die Kunst, die so vieles erkuͤnstelt, Thraͤnen sich ergießen laͤßt, so sind Eindruͤcke dem Gemuͤthe uͤberbracht worden, die zu heftig und daher dem vortheilhaftesten Gemuͤthszustande nicht zutraͤglich sind.

Allzugroße Freude kann toͤdten; und oft ist es vielleicht allein das Werk der fließenden Thraͤnen, daß dieser Erfolg verhindert wird. Das Kind und der Greis muͤßen mehr und leichter weinen, als der gesetzte und der gebildete Mann, weil geringere Grade des Angenehmen und des Unangenehmen sie schon viel tiefer ruͤhren, und viel leichter und empfindlicher ihren Gemuͤthszustand veraͤndern.

Uebrigens untersuchten wir hier auch nur, was die Natur durch die Thraͤnen bei dem Traurigen bewirken laͤßt; und in dieser Ruͤcksicht verdient noch die allgemeine Erfahrung bemerkt zu werden; daß der Mensch vielmehr leidet, dessen Koͤrperbau die leichtere Ergießung der Thraͤnen verhindert.


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[23/0025] ihm nach und nach verloren geht, und daß er selbst wieder in den Gemuͤthszustand gesetzet wird, welcher zur Erfuͤllung seiner Pflichten als Mensch und Weltbuͤrger am zutraͤglichsten ist. Allein es kann mir eingewendet werden: Wie vertragen sich mit dieser Hypothese folgende Erfahrungen? Niemand weint leichter als Kinder und Greise; auch weint ja der Leidende nicht allein, sondern auch der Freudige vergießt bisweilen Thraͤnen. — Jch antworte: So oft die Natur, nicht aber die Kunst, die so vieles erkuͤnstelt, Thraͤnen sich ergießen laͤßt, so sind Eindruͤcke dem Gemuͤthe uͤberbracht worden, die zu heftig und daher dem vortheilhaftesten Gemuͤthszustande nicht zutraͤglich sind. Allzugroße Freude kann toͤdten; und oft ist es vielleicht allein das Werk der fließenden Thraͤnen, daß dieser Erfolg verhindert wird. Das Kind und der Greis muͤßen mehr und leichter weinen, als der gesetzte und der gebildete Mann, weil geringere Grade des Angenehmen und des Unangenehmen sie schon viel tiefer ruͤhren, und viel leichter und empfindlicher ihren Gemuͤthszustand veraͤndern. Uebrigens untersuchten wir hier auch nur, was die Natur durch die Thraͤnen bei dem Traurigen bewirken laͤßt; und in dieser Ruͤcksicht verdient noch die allgemeine Erfahrung bemerkt zu werden; daß der Mensch vielmehr leidet, dessen Koͤrperbau die leichtere Ergießung der Thraͤnen verhindert.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/25>, abgerufen am 18.12.2024.