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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.

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Zur Seelenheilkunde.
Beispiel eines Mannes, welcher von seinem dreißigsten bis vier und funfzigsten Jahre ein recht eifriger Mystiker gewesen, nachher aber nach und nach davon losgekommen, und von seinem sechszigsten bis vier und sechszigsten Jahre ganz von Vorurtheilen frei, noch glücklich gelebt hat.

Dieser Mann war ein so eifriger Mystiker, daß er sein Leben dafür würde gelassen haben.

Er hielt es für Pflicht, sich jede Verachtung und Demüthigung lieb seyn zu lassen; durch nichts die äußern Sinne und die Einbildungskraft zu vergnügen und zu zerstreuen; und daher in kein Schauspiel zu gehen; keinen Roman zu lesen; auch nicht auf die entfernteste Weise, selbst nicht durch Tugend, nach Ehr und Ruhm zu streben; keine Musik zu machen; ja sogar kein Puder in die Haare zu streuen.

Sein geistlicher Führer bezeugte ihm hierüber seinen Beifall, und gab ihm zu erkennen, daß er


Zur Seelenheilkunde.
Beispiel eines Mannes, welcher von seinem dreißigsten bis vier und funfzigsten Jahre ein recht eifriger Mystiker gewesen, nachher aber nach und nach davon losgekommen, und von seinem sechszigsten bis vier und sechszigsten Jahre ganz von Vorurtheilen frei, noch gluͤcklich gelebt hat.

Dieser Mann war ein so eifriger Mystiker, daß er sein Leben dafuͤr wuͤrde gelassen haben.

Er hielt es fuͤr Pflicht, sich jede Verachtung und Demuͤthigung lieb seyn zu lassen; durch nichts die aͤußern Sinne und die Einbildungskraft zu vergnuͤgen und zu zerstreuen; und daher in kein Schauspiel zu gehen; keinen Roman zu lesen; auch nicht auf die entfernteste Weise, selbst nicht durch Tugend, nach Ehr und Ruhm zu streben; keine Musik zu machen; ja sogar kein Puder in die Haare zu streuen.

Sein geistlicher Fuͤhrer bezeugte ihm hieruͤber seinen Beifall, und gab ihm zu erkennen, daß er

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[114/0116] Zur Seelenheilkunde. Beispiel eines Mannes, welcher von seinem dreißigsten bis vier und funfzigsten Jahre ein recht eifriger Mystiker gewesen, nachher aber nach und nach davon losgekommen, und von seinem sechszigsten bis vier und sechszigsten Jahre ganz von Vorurtheilen frei, noch gluͤcklich gelebt hat. Dieser Mann war ein so eifriger Mystiker, daß er sein Leben dafuͤr wuͤrde gelassen haben. Er hielt es fuͤr Pflicht, sich jede Verachtung und Demuͤthigung lieb seyn zu lassen; durch nichts die aͤußern Sinne und die Einbildungskraft zu vergnuͤgen und zu zerstreuen; und daher in kein Schauspiel zu gehen; keinen Roman zu lesen; auch nicht auf die entfernteste Weise, selbst nicht durch Tugend, nach Ehr und Ruhm zu streben; keine Musik zu machen; ja sogar kein Puder in die Haare zu streuen. Sein geistlicher Fuͤhrer bezeugte ihm hieruͤber seinen Beifall, und gab ihm zu erkennen, daß er

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/116>, abgerufen am 03.05.2024.