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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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nicht leicht, die Ursache und den Mechanismus seines Uebels zu entdecken. Schon die Abstammung des Worts dieser Krankheit ist eine gefährliche Klippe für alle die Hypothesenmacher und Halbgelehrten, welche nichts glauben, was sie nicht erklären, und sich nicht vorstellen können, daß die Natur für ihren Kopf undurchdringliche Geheimnisse habe. Man kann sie fragen.

a) Wie es zugeht, daß ein Mensch im tiefen Schlaf hört, geht, schreibt, sieht, und mit einem Wort seine Sinne gebrauchen, und mit Genauigkeit verschiedene Bewegungen machen kann. Um die Auflösung dieses Problems zu erleichtern, wollen wir hinzusetzen, daß der Nachtwandler keine andern Objecte bemerkt, als deren er zu seinen Geschäften alsdenn nöthig hat, und die seiner Jmagination gegenwärtig sind. Der Geistliche, von dem wir geredet haben, sahe, wenn er seine Predigten abfaßte, sein Papier sehr gut, seine Dinte, seine Feder, und wuste es, wenn sie schrieb, oder nicht schrieb. Er verwechselte nie das Dintenfaß mit der Streubüchse, und ließ sichs übrigens nicht einfallen, daß jemand in seiner Kammer sey; er sah und hörte keinen Menschen, wenigstens redete er sie nicht an. Bisweilen foderte er von denen, die er neben sich anzutreffen meinte, überzuckerten Anies, und fand ihn sehr gut, wenn man ihm davon gab; wenn man ihm aber dergleichen zu einer andern Zeit in den Mund steckt, ohne daß seine Einbildungs-


nicht leicht, die Ursache und den Mechanismus seines Uebels zu entdecken. Schon die Abstammung des Worts dieser Krankheit ist eine gefaͤhrliche Klippe fuͤr alle die Hypothesenmacher und Halbgelehrten, welche nichts glauben, was sie nicht erklaͤren, und sich nicht vorstellen koͤnnen, daß die Natur fuͤr ihren Kopf undurchdringliche Geheimnisse habe. Man kann sie fragen.

a) Wie es zugeht, daß ein Mensch im tiefen Schlaf hoͤrt, geht, schreibt, sieht, und mit einem Wort seine Sinne gebrauchen, und mit Genauigkeit verschiedene Bewegungen machen kann. Um die Aufloͤsung dieses Problems zu erleichtern, wollen wir hinzusetzen, daß der Nachtwandler keine andern Objecte bemerkt, als deren er zu seinen Geschaͤften alsdenn noͤthig hat, und die seiner Jmagination gegenwaͤrtig sind. Der Geistliche, von dem wir geredet haben, sahe, wenn er seine Predigten abfaßte, sein Papier sehr gut, seine Dinte, seine Feder, und wuste es, wenn sie schrieb, oder nicht schrieb. Er verwechselte nie das Dintenfaß mit der Streubuͤchse, und ließ sichs uͤbrigens nicht einfallen, daß jemand in seiner Kammer sey; er sah und hoͤrte keinen Menschen, wenigstens redete er sie nicht an. Bisweilen foderte er von denen, die er neben sich anzutreffen meinte, uͤberzuckerten Anies, und fand ihn sehr gut, wenn man ihm davon gab; wenn man ihm aber dergleichen zu einer andern Zeit in den Mund steckt, ohne daß seine Einbildungs-

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[63/0063] nicht leicht, die Ursache und den Mechanismus seines Uebels zu entdecken. Schon die Abstammung des Worts dieser Krankheit ist eine gefaͤhrliche Klippe fuͤr alle die Hypothesenmacher und Halbgelehrten, welche nichts glauben, was sie nicht erklaͤren, und sich nicht vorstellen koͤnnen, daß die Natur fuͤr ihren Kopf undurchdringliche Geheimnisse habe. Man kann sie fragen. a) Wie es zugeht, daß ein Mensch im tiefen Schlaf hoͤrt, geht, schreibt, sieht, und mit einem Wort seine Sinne gebrauchen, und mit Genauigkeit verschiedene Bewegungen machen kann. Um die Aufloͤsung dieses Problems zu erleichtern, wollen wir hinzusetzen, daß der Nachtwandler keine andern Objecte bemerkt, als deren er zu seinen Geschaͤften alsdenn noͤthig hat, und die seiner Jmagination gegenwaͤrtig sind. Der Geistliche, von dem wir geredet haben, sahe, wenn er seine Predigten abfaßte, sein Papier sehr gut, seine Dinte, seine Feder, und wuste es, wenn sie schrieb, oder nicht schrieb. Er verwechselte nie das Dintenfaß mit der Streubuͤchse, und ließ sichs uͤbrigens nicht einfallen, daß jemand in seiner Kammer sey; er sah und hoͤrte keinen Menschen, wenigstens redete er sie nicht an. Bisweilen foderte er von denen, die er neben sich anzutreffen meinte, uͤberzuckerten Anies, und fand ihn sehr gut, wenn man ihm davon gab; wenn man ihm aber dergleichen zu einer andern Zeit in den Mund steckt, ohne daß seine Einbildungs-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/63>, abgerufen am 01.05.2024.