Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


so gab man ihm von dem gewöhnlichen Wasser, welches in der Kammer stand. Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte nun mit noch mehrerer Lebhaftigkeit jenes Lebenswasser, indem er zeigte, daß er ohne dasselbe sterben müßte. Jezt brachte man ihm ein Glas Liqueur; er nahm es mit vielem Vergnügen, und sagte, indem er dran roch: daß er sich schon viel besser befinde! Jnzwischen erwachte er nicht, legte sich wieder hin, und schlief ganz ruhig fort. Der junge Mann hat noch eine Menge andrer sehr sonderbarer Handlungen unternommen. Das Auffallendste und Merkwürdigste hiebei ist noch dies, daß wenn man seine Gedanken von unangenehmen und traurigen Bildern der Phantasie abziehen wollte, man nur seine Lippen mit einer Feder bestreichen dürfte, wo er denn augenblicklich auf ganz andre Sachen fiel." --

Der Encyclopedist hat bei dieser Gelegenheit seine Gedanken über das Nachtwandeln zugleich mitgetheilt. Sie sind zum Theil interessant genug, um sie hierher zu setzen, obgleich durch seine Untersuchungen jenes Phänomen noch lange nicht ganz erklärt wird, das auch wirklich nicht erklärt werden kann, so lange man alles bloß aus der Einbildungskraft begreiflich zu machen sucht.

"Ob man gleich, sagt er, einen Nachtwandler durch dergleichen unwiderlegliche Facta, wie wir angeführt haben, kennen lernen kann; so ists doch


so gab man ihm von dem gewoͤhnlichen Wasser, welches in der Kammer stand. Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte nun mit noch mehrerer Lebhaftigkeit jenes Lebenswasser, indem er zeigte, daß er ohne dasselbe sterben muͤßte. Jezt brachte man ihm ein Glas Liqueur; er nahm es mit vielem Vergnuͤgen, und sagte, indem er dran roch: daß er sich schon viel besser befinde! Jnzwischen erwachte er nicht, legte sich wieder hin, und schlief ganz ruhig fort. Der junge Mann hat noch eine Menge andrer sehr sonderbarer Handlungen unternommen. Das Auffallendste und Merkwuͤrdigste hiebei ist noch dies, daß wenn man seine Gedanken von unangenehmen und traurigen Bildern der Phantasie abziehen wollte, man nur seine Lippen mit einer Feder bestreichen duͤrfte, wo er denn augenblicklich auf ganz andre Sachen fiel.« —

Der Encyclopedist hat bei dieser Gelegenheit seine Gedanken uͤber das Nachtwandeln zugleich mitgetheilt. Sie sind zum Theil interessant genug, um sie hierher zu setzen, obgleich durch seine Untersuchungen jenes Phaͤnomen noch lange nicht ganz erklaͤrt wird, das auch wirklich nicht erklaͤrt werden kann, so lange man alles bloß aus der Einbildungskraft begreiflich zu machen sucht.

»Ob man gleich, sagt er, einen Nachtwandler durch dergleichen unwiderlegliche Facta, wie wir angefuͤhrt haben, kennen lernen kann; so ists doch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0062" n="62"/><lb/>
so gab man ihm von dem gewo&#x0364;hnlichen Wasser, welches in der Kammer stand.                         Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte                         nun mit noch mehrerer Lebhaftigkeit jenes Lebenswasser, indem er zeigte, daß                         er ohne dasselbe sterben mu&#x0364;ßte. Jezt brachte man ihm ein Glas Liqueur; er                         nahm es mit vielem Vergnu&#x0364;gen, und sagte, indem er dran roch: daß er sich                         schon viel besser befinde! Jnzwischen erwachte er nicht, legte sich wieder                         hin, und schlief ganz ruhig fort. Der junge Mann hat noch eine Menge andrer                         sehr sonderbarer Handlungen unternommen. Das Auffallendste und Merkwu&#x0364;rdigste                         hiebei ist noch dies, daß wenn man seine Gedanken von unangenehmen und                         traurigen Bildern der Phantasie abziehen wollte, man nur seine Lippen mit                         einer Feder bestreichen du&#x0364;rfte, wo er denn augenblicklich auf ganz andre                         Sachen fiel.« &#x2014;</p>
            <p>Der Encyclopedist hat bei dieser Gelegenheit seine Gedanken u&#x0364;ber das                         Nachtwandeln zugleich mitgetheilt. Sie sind zum Theil interessant genug, um                         sie hierher zu setzen, obgleich durch seine Untersuchungen jenes Pha&#x0364;nomen                         noch lange nicht ganz erkla&#x0364;rt wird, das auch wirklich nicht erkla&#x0364;rt werden                         kann, so lange man alles bloß aus der <hi rendition="#b">Einbildungskraft                         </hi> begreiflich zu machen sucht.</p>
            <p>»Ob man gleich, sagt er, einen Nachtwandler durch dergleichen unwiderlegliche                         Facta, wie wir angefu&#x0364;hrt haben, kennen lernen kann; so ists doch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0062] so gab man ihm von dem gewoͤhnlichen Wasser, welches in der Kammer stand. Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte nun mit noch mehrerer Lebhaftigkeit jenes Lebenswasser, indem er zeigte, daß er ohne dasselbe sterben muͤßte. Jezt brachte man ihm ein Glas Liqueur; er nahm es mit vielem Vergnuͤgen, und sagte, indem er dran roch: daß er sich schon viel besser befinde! Jnzwischen erwachte er nicht, legte sich wieder hin, und schlief ganz ruhig fort. Der junge Mann hat noch eine Menge andrer sehr sonderbarer Handlungen unternommen. Das Auffallendste und Merkwuͤrdigste hiebei ist noch dies, daß wenn man seine Gedanken von unangenehmen und traurigen Bildern der Phantasie abziehen wollte, man nur seine Lippen mit einer Feder bestreichen duͤrfte, wo er denn augenblicklich auf ganz andre Sachen fiel.« — Der Encyclopedist hat bei dieser Gelegenheit seine Gedanken uͤber das Nachtwandeln zugleich mitgetheilt. Sie sind zum Theil interessant genug, um sie hierher zu setzen, obgleich durch seine Untersuchungen jenes Phaͤnomen noch lange nicht ganz erklaͤrt wird, das auch wirklich nicht erklaͤrt werden kann, so lange man alles bloß aus der Einbildungskraft begreiflich zu machen sucht. »Ob man gleich, sagt er, einen Nachtwandler durch dergleichen unwiderlegliche Facta, wie wir angefuͤhrt haben, kennen lernen kann; so ists doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/62
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/62>, abgerufen am 01.05.2024.