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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

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willen, zeigte, daß die Leute den Heiland in die Seite gestochen hätten, und daß der Blitz sie dafür tödten müsse."

Ueberhaupt habe ich an den Taubstummen, die ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, fast ohne Ausnahme einen erstaunlichen heftigen Unwillen gegen ungerechte, menschenfeindliche Handlungen, und einen sehr hohen Grad des Mitleids gegen Unterdrückte bemerkt. Da sie sich nicht durch Worte äußern, und dem Beleidiger durch Vorstellungen sein Unrecht vorhalten können, so drückt sich ihre Wuth, bei der ihnen ohnehin eigenen heftigen Gemüthsart, in den wildesten Geberden aus. Da sie sich ferner selbst unglücklich fühlen mögen, und durch die harten Behandlungen andrer oft viel leiden müssen, so wird dadurch ihr Herz sehr zum Mitleiden gestimmt und weich gemacht. Jch habe einen Taubstummen vor Wuth schäumen gesehen, der einer Mutter nicht das Kind aus den Händen reißen konnte, was sie auf eine unbarmherzige Art schlug; obgleich Mutter und Kind ihm ganz fremde Personen waren, und sein nachheriger Haß gegen dieses Weib blieb unauslöschlich.

Die Erzählung von dem heftigen Triebe des hier angeführten Herbst (so hieß der Taubstumme) zum heil. Abendmahl zu gehen, ist sehr interessant, und der Herr Verfasser erklärt ihn ganz richtig aus sehr natürlichen Ursachen; also nicht aus einer Art von Gnadenwirkung, woraus man so viel na-


willen, zeigte, daß die Leute den Heiland in die Seite gestochen haͤtten, und daß der Blitz sie dafuͤr toͤdten muͤsse.«

Ueberhaupt habe ich an den Taubstummen, die ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, fast ohne Ausnahme einen erstaunlichen heftigen Unwillen gegen ungerechte, menschenfeindliche Handlungen, und einen sehr hohen Grad des Mitleids gegen Unterdruͤckte bemerkt. Da sie sich nicht durch Worte aͤußern, und dem Beleidiger durch Vorstellungen sein Unrecht vorhalten koͤnnen, so druͤckt sich ihre Wuth, bei der ihnen ohnehin eigenen heftigen Gemuͤthsart, in den wildesten Geberden aus. Da sie sich ferner selbst ungluͤcklich fuͤhlen moͤgen, und durch die harten Behandlungen andrer oft viel leiden muͤssen, so wird dadurch ihr Herz sehr zum Mitleiden gestimmt und weich gemacht. Jch habe einen Taubstummen vor Wuth schaͤumen gesehen, der einer Mutter nicht das Kind aus den Haͤnden reißen konnte, was sie auf eine unbarmherzige Art schlug; obgleich Mutter und Kind ihm ganz fremde Personen waren, und sein nachheriger Haß gegen dieses Weib blieb unausloͤschlich.

Die Erzaͤhlung von dem heftigen Triebe des hier angefuͤhrten Herbst (so hieß der Taubstumme) zum heil. Abendmahl zu gehen, ist sehr interessant, und der Herr Verfasser erklaͤrt ihn ganz richtig aus sehr natuͤrlichen Ursachen; also nicht aus einer Art von Gnadenwirkung, woraus man so viel na-

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[6/0008] willen, zeigte, daß die Leute den Heiland in die Seite gestochen haͤtten, und daß der Blitz sie dafuͤr toͤdten muͤsse.« Ueberhaupt habe ich an den Taubstummen, die ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, fast ohne Ausnahme einen erstaunlichen heftigen Unwillen gegen ungerechte, menschenfeindliche Handlungen, und einen sehr hohen Grad des Mitleids gegen Unterdruͤckte bemerkt. Da sie sich nicht durch Worte aͤußern, und dem Beleidiger durch Vorstellungen sein Unrecht vorhalten koͤnnen, so druͤckt sich ihre Wuth, bei der ihnen ohnehin eigenen heftigen Gemuͤthsart, in den wildesten Geberden aus. Da sie sich ferner selbst ungluͤcklich fuͤhlen moͤgen, und durch die harten Behandlungen andrer oft viel leiden muͤssen, so wird dadurch ihr Herz sehr zum Mitleiden gestimmt und weich gemacht. Jch habe einen Taubstummen vor Wuth schaͤumen gesehen, der einer Mutter nicht das Kind aus den Haͤnden reißen konnte, was sie auf eine unbarmherzige Art schlug; obgleich Mutter und Kind ihm ganz fremde Personen waren, und sein nachheriger Haß gegen dieses Weib blieb unausloͤschlich. Die Erzaͤhlung von dem heftigen Triebe des hier angefuͤhrten Herbst (so hieß der Taubstumme) zum heil. Abendmahl zu gehen, ist sehr interessant, und der Herr Verfasser erklaͤrt ihn ganz richtig aus sehr natuͤrlichen Ursachen; also nicht aus einer Art von Gnadenwirkung, woraus man so viel na-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/8>, abgerufen am 28.03.2024.