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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

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richtet habe, so wurde er doch gar leicht durch den Augenschein überzeugt, daß er sich im Schlafrock, den er doch den Abend vorher ausgezogen, und in einem andern Bette befand. Es ist in der That zu verwundern, setzt der Erzähler hinzu, daß ein Mann von so unvergleichlichem Gedächtniß, sich dieses nächtlichen Schreibens und Lesens, welches doch oft drei bis vier Stunden gedauert, gar nicht zu erinnern gewußt. Aber noch mehr, daß sein Gang, die Art zu schreiben und seine Sprache ihm bei Nacht eben so natürlich gewesen, als er alles dieses am Tage verrichtet, da sonst die meisten Nachtwandrer ihre Sachen sehr unvollkommen und gleich Trunkenen vornehmen. Was aber bei dieser Sache am sonderbarsten ist, ist dieß, daß, nachdem er lange nachher sein Amt aufgegeben, und eine schöne und tugendhafte Frau geheirathet, er derselben aber seine Heimlichkeiten verschwiegen, diese des Nachts, wenn er das Kind im Schlafe aus der Wiege auf seine Arme genommen, und damit im ganzen Hause herumgegangen, ihm überall auf dem Fuße nachgefolgt, und durch Fragen alles Verborgene seines Herzens von ihm erfahren, so, daß er sich nachher gewundert, wer seiner Gattin die Geheimnisse seiner Seele, die sonst niemand, als ihm allein, bekannt gewesen, verrathen haben müßte.

Jm fünfundvierzigsten Jahre seines Alters hörte er auf im Schlafe zu wandern, dagegen fing


richtet habe, so wurde er doch gar leicht durch den Augenschein uͤberzeugt, daß er sich im Schlafrock, den er doch den Abend vorher ausgezogen, und in einem andern Bette befand. Es ist in der That zu verwundern, setzt der Erzaͤhler hinzu, daß ein Mann von so unvergleichlichem Gedaͤchtniß, sich dieses naͤchtlichen Schreibens und Lesens, welches doch oft drei bis vier Stunden gedauert, gar nicht zu erinnern gewußt. Aber noch mehr, daß sein Gang, die Art zu schreiben und seine Sprache ihm bei Nacht eben so natuͤrlich gewesen, als er alles dieses am Tage verrichtet, da sonst die meisten Nachtwandrer ihre Sachen sehr unvollkommen und gleich Trunkenen vornehmen. Was aber bei dieser Sache am sonderbarsten ist, ist dieß, daß, nachdem er lange nachher sein Amt aufgegeben, und eine schoͤne und tugendhafte Frau geheirathet, er derselben aber seine Heimlichkeiten verschwiegen, diese des Nachts, wenn er das Kind im Schlafe aus der Wiege auf seine Arme genommen, und damit im ganzen Hause herumgegangen, ihm uͤberall auf dem Fuße nachgefolgt, und durch Fragen alles Verborgene seines Herzens von ihm erfahren, so, daß er sich nachher gewundert, wer seiner Gattin die Geheimnisse seiner Seele, die sonst niemand, als ihm allein, bekannt gewesen, verrathen haben muͤßte.

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[119/0121] richtet habe, so wurde er doch gar leicht durch den Augenschein uͤberzeugt, daß er sich im Schlafrock, den er doch den Abend vorher ausgezogen, und in einem andern Bette befand. Es ist in der That zu verwundern, setzt der Erzaͤhler hinzu, daß ein Mann von so unvergleichlichem Gedaͤchtniß, sich dieses naͤchtlichen Schreibens und Lesens, welches doch oft drei bis vier Stunden gedauert, gar nicht zu erinnern gewußt. Aber noch mehr, daß sein Gang, die Art zu schreiben und seine Sprache ihm bei Nacht eben so natuͤrlich gewesen, als er alles dieses am Tage verrichtet, da sonst die meisten Nachtwandrer ihre Sachen sehr unvollkommen und gleich Trunkenen vornehmen. Was aber bei dieser Sache am sonderbarsten ist, ist dieß, daß, nachdem er lange nachher sein Amt aufgegeben, und eine schoͤne und tugendhafte Frau geheirathet, er derselben aber seine Heimlichkeiten verschwiegen, diese des Nachts, wenn er das Kind im Schlafe aus der Wiege auf seine Arme genommen, und damit im ganzen Hause herumgegangen, ihm uͤberall auf dem Fuße nachgefolgt, und durch Fragen alles Verborgene seines Herzens von ihm erfahren, so, daß er sich nachher gewundert, wer seiner Gattin die Geheimnisse seiner Seele, die sonst niemand, als ihm allein, bekannt gewesen, verrathen haben muͤßte. Jm fuͤnfundvierzigsten Jahre seines Alters hoͤrte er auf im Schlafe zu wandern, dagegen fing

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/121>, abgerufen am 04.05.2024.