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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

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im Traume. Kurz, sie braucht fast eine halbe Viertelstunde, um sich vollkommen zu ermuntern. Daß dieß alles keine Verstellung war, erhellet daraus, weil sie so ehrgeitzig ist, daß wenn sie erfahren, ein Fremder habe sie im Schlafe reden gehört, sie wohl eher einen ganzen Tag geweint, und sich davor so sehr geschämt hat, daß sie demjenigen, der sie in solchem Zustande gesehen, fast nicht vor Augen kommen mögen.

Bei vorher erzählten Beispielen hat mir besonders folgendes merkwürdig geschienen: a) Daß die Nachtschwätzerin erschrack, wenn sie ein Fremder anredete, und es ihr nur so vorkam, als ob sie jemand fremdes sprechen gehört. Bei diesem Schlummer hatte sich die Seele der Nachtwandlerin, wie mich dünkt, so orientirt, daß sie nur von den Bekannten, die sie umgaben, und deren Stimme ihr geläufig war, klare Eindrücke empfing, von einer fremden Stimme aber etwas in Verwirrung gebracht wurde, weil sie nicht genau wissen konnte, von wem die Stimme eigentlich herrühre.b) Daß es desto schwerer war, die Nachtwandlerin aus dem Traume zu bringen, je mehr man mit ihr vorgenommen und je stärker ihre Einbildungskraft erregt worden war. Hier verirrte sich die Seele gleichsam in einer Menge Traumideen, und brauchte einen größern Weg, um sich wieder in die wirkliche Welt zurückzufinden. Jede Jdee braucht einige


im Traume. Kurz, sie braucht fast eine halbe Viertelstunde, um sich vollkommen zu ermuntern. Daß dieß alles keine Verstellung war, erhellet daraus, weil sie so ehrgeitzig ist, daß wenn sie erfahren, ein Fremder habe sie im Schlafe reden gehoͤrt, sie wohl eher einen ganzen Tag geweint, und sich davor so sehr geschaͤmt hat, daß sie demjenigen, der sie in solchem Zustande gesehen, fast nicht vor Augen kommen moͤgen.

Bei vorher erzaͤhlten Beispielen hat mir besonders folgendes merkwuͤrdig geschienen: a) Daß die Nachtschwaͤtzerin erschrack, wenn sie ein Fremder anredete, und es ihr nur so vorkam, als ob sie jemand fremdes sprechen gehoͤrt. Bei diesem Schlummer hatte sich die Seele der Nachtwandlerin, wie mich duͤnkt, so orientirt, daß sie nur von den Bekannten, die sie umgaben, und deren Stimme ihr gelaͤufig war, klare Eindruͤcke empfing, von einer fremden Stimme aber etwas in Verwirrung gebracht wurde, weil sie nicht genau wissen konnte, von wem die Stimme eigentlich herruͤhre.b) Daß es desto schwerer war, die Nachtwandlerin aus dem Traume zu bringen, je mehr man mit ihr vorgenommen und je staͤrker ihre Einbildungskraft erregt worden war. Hier verirrte sich die Seele gleichsam in einer Menge Traumideen, und brauchte einen groͤßern Weg, um sich wieder in die wirkliche Welt zuruͤckzufinden. Jede Jdee braucht einige

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[106/0108] im Traume. Kurz, sie braucht fast eine halbe Viertelstunde, um sich vollkommen zu ermuntern. Daß dieß alles keine Verstellung war, erhellet daraus, weil sie so ehrgeitzig ist, daß wenn sie erfahren, ein Fremder habe sie im Schlafe reden gehoͤrt, sie wohl eher einen ganzen Tag geweint, und sich davor so sehr geschaͤmt hat, daß sie demjenigen, der sie in solchem Zustande gesehen, fast nicht vor Augen kommen moͤgen. Bei vorher erzaͤhlten Beispielen hat mir besonders folgendes merkwuͤrdig geschienen: a) Daß die Nachtschwaͤtzerin erschrack, wenn sie ein Fremder anredete, und es ihr nur so vorkam, als ob sie jemand fremdes sprechen gehoͤrt. Bei diesem Schlummer hatte sich die Seele der Nachtwandlerin, wie mich duͤnkt, so orientirt, daß sie nur von den Bekannten, die sie umgaben, und deren Stimme ihr gelaͤufig war, klare Eindruͤcke empfing, von einer fremden Stimme aber etwas in Verwirrung gebracht wurde, weil sie nicht genau wissen konnte, von wem die Stimme eigentlich herruͤhre.b) Daß es desto schwerer war, die Nachtwandlerin aus dem Traume zu bringen, je mehr man mit ihr vorgenommen und je staͤrker ihre Einbildungskraft erregt worden war. Hier verirrte sich die Seele gleichsam in einer Menge Traumideen, und brauchte einen groͤßern Weg, um sich wieder in die wirkliche Welt zuruͤckzufinden. Jede Jdee braucht einige

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/108>, abgerufen am 05.12.2024.