Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


als wenn sie die in Form des Papiers auf ihrem Bette zusammengelegten Servietten beschrieb, forderte Licht, die geschriebenen Briefe zuzusiegeln, sagte auf Befragen, was und an wen sie geschrieben; las das Concept deutlich vor, welches meistens in einem artigen Concept und Eröffnung ihres Zustandes bestanden, machte eine französische Addresse darauf, versiegelte es (doch nur ihrer Einbildung nach) und befahl, daß es auf die Post getragen werden sollte. Wenn sie in ihrem Traume eine Visite erwartete, hing sie ihren Nachtmantel um, putzte sich vor dem Spiegel den Kopf, richtete sich im Bette auf, wenn sie bei Eröffnung der Thür glaubte, daß die vornehme Person hereinkommen werde, bewillkommte sie auf eine gefällige Art, dankte für die hohe Ehre und das Glück des Besuchs in den artigsten Ausdrücken, sprach von ihrem Zustande, und führte oft lange vernünftige Gespräche mit derselben, so wie sie die Fragen, die man an sie that, richtig beantwortete. Eben so feierlich und artig empfahl sie sich auch wieder beim Abschiedsnehmen des hohen Besuchs. Die Erzähler dieser Begebenheit setzen hinzu, daß das nachtwandelnde Mädchen nach einigen Wochen völlig wieder kurirt worden sey. Man brachte ihr gehemtes Blut wieder in eine ordentliche Bewegung, gab ihr Arzneien, die auf die Stärkung der Nerven, auf die Transpiration und auf die Heiterkeit des Gemüths wirkten, und die Paroxismi ließen


als wenn sie die in Form des Papiers auf ihrem Bette zusammengelegten Servietten beschrieb, forderte Licht, die geschriebenen Briefe zuzusiegeln, sagte auf Befragen, was und an wen sie geschrieben; las das Concept deutlich vor, welches meistens in einem artigen Concept und Eroͤffnung ihres Zustandes bestanden, machte eine franzoͤsische Addresse darauf, versiegelte es (doch nur ihrer Einbildung nach) und befahl, daß es auf die Post getragen werden sollte. Wenn sie in ihrem Traume eine Visite erwartete, hing sie ihren Nachtmantel um, putzte sich vor dem Spiegel den Kopf, richtete sich im Bette auf, wenn sie bei Eroͤffnung der Thuͤr glaubte, daß die vornehme Person hereinkommen werde, bewillkommte sie auf eine gefaͤllige Art, dankte fuͤr die hohe Ehre und das Gluͤck des Besuchs in den artigsten Ausdruͤcken, sprach von ihrem Zustande, und fuͤhrte oft lange vernuͤnftige Gespraͤche mit derselben, so wie sie die Fragen, die man an sie that, richtig beantwortete. Eben so feierlich und artig empfahl sie sich auch wieder beim Abschiedsnehmen des hohen Besuchs. Die Erzaͤhler dieser Begebenheit setzen hinzu, daß das nachtwandelnde Maͤdchen nach einigen Wochen voͤllig wieder kurirt worden sey. Man brachte ihr gehemtes Blut wieder in eine ordentliche Bewegung, gab ihr Arzneien, die auf die Staͤrkung der Nerven, auf die Transpiration und auf die Heiterkeit des Gemuͤths wirkten, und die Paroxismi ließen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0102" n="100"/><lb/>
als wenn sie die in Form des Papiers                         auf ihrem Bette zusammengelegten Servietten beschrieb, forderte Licht, die                         geschriebenen Briefe zuzusiegeln, sagte auf Befragen, was und an wen sie                         geschrieben; las das Concept deutlich vor, welches meistens in einem artigen                         Concept und Ero&#x0364;ffnung ihres Zustandes bestanden, machte eine franzo&#x0364;sische                         Addresse darauf, versiegelte es (doch nur ihrer Einbildung nach) und befahl,                         daß es auf die Post getragen werden sollte. Wenn sie in ihrem Traume eine                         Visite erwartete, hing sie ihren Nachtmantel um, putzte sich vor dem Spiegel                         den Kopf, richtete sich im Bette auf, wenn sie bei Ero&#x0364;ffnung der Thu&#x0364;r                         glaubte, daß die vornehme Person hereinkommen werde, bewillkommte sie auf                         eine gefa&#x0364;llige Art, dankte fu&#x0364;r die hohe Ehre und das Glu&#x0364;ck des Besuchs in                         den artigsten Ausdru&#x0364;cken, sprach von ihrem Zustande, und fu&#x0364;hrte oft lange                         vernu&#x0364;nftige Gespra&#x0364;che mit derselben, so wie sie die Fragen, die man an sie                         that, richtig beantwortete. Eben so feierlich und artig empfahl sie sich                         auch wieder beim Abschiedsnehmen des hohen Besuchs. Die Erza&#x0364;hler dieser                         Begebenheit setzen hinzu, daß das nachtwandelnde Ma&#x0364;dchen nach einigen Wochen                         vo&#x0364;llig wieder kurirt worden sey. Man brachte ihr gehemtes Blut wieder in                         eine ordentliche Bewegung, gab ihr Arzneien, die auf die Sta&#x0364;rkung der                         Nerven, auf die Transpiration und auf die Heiterkeit des Gemu&#x0364;ths wirkten,                         und die Paroxismi ließen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0102] als wenn sie die in Form des Papiers auf ihrem Bette zusammengelegten Servietten beschrieb, forderte Licht, die geschriebenen Briefe zuzusiegeln, sagte auf Befragen, was und an wen sie geschrieben; las das Concept deutlich vor, welches meistens in einem artigen Concept und Eroͤffnung ihres Zustandes bestanden, machte eine franzoͤsische Addresse darauf, versiegelte es (doch nur ihrer Einbildung nach) und befahl, daß es auf die Post getragen werden sollte. Wenn sie in ihrem Traume eine Visite erwartete, hing sie ihren Nachtmantel um, putzte sich vor dem Spiegel den Kopf, richtete sich im Bette auf, wenn sie bei Eroͤffnung der Thuͤr glaubte, daß die vornehme Person hereinkommen werde, bewillkommte sie auf eine gefaͤllige Art, dankte fuͤr die hohe Ehre und das Gluͤck des Besuchs in den artigsten Ausdruͤcken, sprach von ihrem Zustande, und fuͤhrte oft lange vernuͤnftige Gespraͤche mit derselben, so wie sie die Fragen, die man an sie that, richtig beantwortete. Eben so feierlich und artig empfahl sie sich auch wieder beim Abschiedsnehmen des hohen Besuchs. Die Erzaͤhler dieser Begebenheit setzen hinzu, daß das nachtwandelnde Maͤdchen nach einigen Wochen voͤllig wieder kurirt worden sey. Man brachte ihr gehemtes Blut wieder in eine ordentliche Bewegung, gab ihr Arzneien, die auf die Staͤrkung der Nerven, auf die Transpiration und auf die Heiterkeit des Gemuͤths wirkten, und die Paroxismi ließen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/102
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/102>, abgerufen am 05.12.2024.