Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0099" n="99"/><lb/> Jahr 1560 im Monat Mai, da ich wegen des Todes meines Sohns den Schlaf nach und nach verloren hatte, bat ich Gott, daß er sich meiner erbarmen moͤgte, indem ich wegen meines bestaͤndigen Wachens entweder sterben, oder wahnwitzig werden, oder mein Amt nothwendig niederlegen muͤsse. — Geschaͤhe das Letztere, so koͤnnte ich nicht mehr ein ehrbares Leben fuͤhren; geschaͤh' es, daß ich wahnwitzig wuͤrde, so wuͤrde ich ein Spott aller Leute werden, wuͤrde den Rest meines Vermoͤgens verzehren, und alle Hoffnung meines Unterkommens verlieren, da ich in meinem Alter meine Lebensart nicht mehr veraͤndern koͤnnte: — ich baͤte also, daß er (Gott) mich moͤge sterben lassen, da dies einmal doch das Schicksal aller Menschen sey, — und legte mich sogleich in's Bette. Die Stunde verstrich langsam, ich war gezwungen, um zehn Uhr aufzustehn, weil ich nicht laͤnger als hoͤchstens zwei Stunden im Bette bleiben konnte. Ploͤtzlich uͤberfiel mich aber der Schlaf, und es kam mir so vor, als hoͤrt' ich aus der Dunkelheit eine Stimme; woher? und von wem? sie kam, konnte ich nicht wegen der Finsterniß unterscheiden. Was klagst du, woruͤber beunruhigst du dich? eh' ich noch antwortete, fuhr sie fort: uͤber den Tod deines Sohns? Jch antwortete, ja allerdings! Darauf antwortete es mir wieder: lege den Stein, welchen du an deinen Hals gehangen, in den Mund, und so lange<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0099]
Jahr 1560 im Monat Mai, da ich wegen des Todes meines Sohns den Schlaf nach und nach verloren hatte, bat ich Gott, daß er sich meiner erbarmen moͤgte, indem ich wegen meines bestaͤndigen Wachens entweder sterben, oder wahnwitzig werden, oder mein Amt nothwendig niederlegen muͤsse. — Geschaͤhe das Letztere, so koͤnnte ich nicht mehr ein ehrbares Leben fuͤhren; geschaͤh' es, daß ich wahnwitzig wuͤrde, so wuͤrde ich ein Spott aller Leute werden, wuͤrde den Rest meines Vermoͤgens verzehren, und alle Hoffnung meines Unterkommens verlieren, da ich in meinem Alter meine Lebensart nicht mehr veraͤndern koͤnnte: — ich baͤte also, daß er (Gott) mich moͤge sterben lassen, da dies einmal doch das Schicksal aller Menschen sey, — und legte mich sogleich in's Bette. Die Stunde verstrich langsam, ich war gezwungen, um zehn Uhr aufzustehn, weil ich nicht laͤnger als hoͤchstens zwei Stunden im Bette bleiben konnte. Ploͤtzlich uͤberfiel mich aber der Schlaf, und es kam mir so vor, als hoͤrt' ich aus der Dunkelheit eine Stimme; woher? und von wem? sie kam, konnte ich nicht wegen der Finsterniß unterscheiden. Was klagst du, woruͤber beunruhigst du dich? eh' ich noch antwortete, fuhr sie fort: uͤber den Tod deines Sohns? Jch antwortete, ja allerdings! Darauf antwortete es mir wieder: lege den Stein, welchen du an deinen Hals gehangen, in den Mund, und so lange
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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