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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.

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weggenommen, und hing an der Wand, als auf einmal eine große Horniß hereinkam. Sie umflatterte das Kind, alle Anwesende fürchteten sich, sie that aber keinem etwas, sondern flog mit einem so heftigen Geräusch gegen den Vorhang, als wenn eine Trommel geschlagen würde. Wir liefen hinzu; fanden nichts, und doch hatte sie auch nicht hinauskommen können, da wir sie genau mit unsern Augen verfolgten. Alle prophezeihten daraus nichts Gutes; aber keiner muthmaßte doch einen so traurigen Tod des Kindes."

"Jn dem Jahre, als mein Sohn umgebracht wurde, schenkte ich ihm ein neues seidenes Kleid, wie es die Aerzte zu tragen pflegen. Mit diesem Kleide ging er eines Sonntags vor das Thor, wo sich ein Fleischer aufhielt. Eins seiner Schweine sprang aus dem Kothe auf, rannte auf meinen Sohn zu, und beschmuzte ihn so abscheulich, daß die Fleischer und Nachbarn mit Spiessen das Schwein wegzutreiben suchten, bis mein Sohn sich endlich selbst durch die Flucht von ihm befreite. Wider seine Gewohnheit kam er sehr betrübt zu mir, erzählte alles, und fragte: was das Ding zu bedeuten hätte? Jch antwortete ihm: er mögte sich in Acht nehmen, daß, da er ein so schweinisches Leben führe, er nicht auch einmal ein solches Ende nehme! -- ob er gleich, sein Würfelspielen und seine Unmäßigkeit im Essen und Trinken ausgenommen, der beßte Junge war, und ein schuldloses Leben führte."



weggenommen, und hing an der Wand, als auf einmal eine große Horniß hereinkam. Sie umflatterte das Kind, alle Anwesende fuͤrchteten sich, sie that aber keinem etwas, sondern flog mit einem so heftigen Geraͤusch gegen den Vorhang, als wenn eine Trommel geschlagen wuͤrde. Wir liefen hinzu; fanden nichts, und doch hatte sie auch nicht hinauskommen koͤnnen, da wir sie genau mit unsern Augen verfolgten. Alle prophezeihten daraus nichts Gutes; aber keiner muthmaßte doch einen so traurigen Tod des Kindes.«

»Jn dem Jahre, als mein Sohn umgebracht wurde, schenkte ich ihm ein neues seidenes Kleid, wie es die Aerzte zu tragen pflegen. Mit diesem Kleide ging er eines Sonntags vor das Thor, wo sich ein Fleischer aufhielt. Eins seiner Schweine sprang aus dem Kothe auf, rannte auf meinen Sohn zu, und beschmuzte ihn so abscheulich, daß die Fleischer und Nachbarn mit Spiessen das Schwein wegzutreiben suchten, bis mein Sohn sich endlich selbst durch die Flucht von ihm befreite. Wider seine Gewohnheit kam er sehr betruͤbt zu mir, erzaͤhlte alles, und fragte: was das Ding zu bedeuten haͤtte? Jch antwortete ihm: er moͤgte sich in Acht nehmen, daß, da er ein so schweinisches Leben fuͤhre, er nicht auch einmal ein solches Ende nehme! — ob er gleich, sein Wuͤrfelspielen und seine Unmaͤßigkeit im Essen und Trinken ausgenommen, der beßte Junge war, und ein schuldloses Leben fuͤhrte.«


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[76/0076] weggenommen, und hing an der Wand, als auf einmal eine große Horniß hereinkam. Sie umflatterte das Kind, alle Anwesende fuͤrchteten sich, sie that aber keinem etwas, sondern flog mit einem so heftigen Geraͤusch gegen den Vorhang, als wenn eine Trommel geschlagen wuͤrde. Wir liefen hinzu; fanden nichts, und doch hatte sie auch nicht hinauskommen koͤnnen, da wir sie genau mit unsern Augen verfolgten. Alle prophezeihten daraus nichts Gutes; aber keiner muthmaßte doch einen so traurigen Tod des Kindes.« »Jn dem Jahre, als mein Sohn umgebracht wurde, schenkte ich ihm ein neues seidenes Kleid, wie es die Aerzte zu tragen pflegen. Mit diesem Kleide ging er eines Sonntags vor das Thor, wo sich ein Fleischer aufhielt. Eins seiner Schweine sprang aus dem Kothe auf, rannte auf meinen Sohn zu, und beschmuzte ihn so abscheulich, daß die Fleischer und Nachbarn mit Spiessen das Schwein wegzutreiben suchten, bis mein Sohn sich endlich selbst durch die Flucht von ihm befreite. Wider seine Gewohnheit kam er sehr betruͤbt zu mir, erzaͤhlte alles, und fragte: was das Ding zu bedeuten haͤtte? Jch antwortete ihm: er moͤgte sich in Acht nehmen, daß, da er ein so schweinisches Leben fuͤhre, er nicht auch einmal ein solches Ende nehme! — ob er gleich, sein Wuͤrfelspielen und seine Unmaͤßigkeit im Essen und Trinken ausgenommen, der beßte Junge war, und ein schuldloses Leben fuͤhrte.«

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/76>, abgerufen am 28.04.2024.