Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.
Sie fingen an, an einem einsamen Ort eine Stube auszuzieren; bald hing sie voll Bilder erdichteter Scenen und Personen. -- -- Endlich wurden die Bilder der Phantasie (vornehmlich durch ascetische Schriften des Jesuiten V--) in ihrer Seele so lebhaft, stark und dringend, daß sie sich nun schon aller ihrer übrigen Vorstellungen bemächtigte, und in dieser siegenden Darstellung nur nach ihrer Realität, sich nur nach wirklicher Befriedigung sehnten. -- Sie entschlossen sich, dem Beispiel ihrer Heiligen zu folgen, packten Kleider und Wäsche ein, und Bücher, die von ihrer künftigen Lebensart handeln. Zur Nahrung wollten sie nichts bei sich haben, da ihnen die nächste beste Wurzel Speise war. -- Sie bestimmten endlich die Zeit ihrer Pilgrimmsreise, und zwar die Nacht. Sie werden entdeckt, und die Eltern hindern natürlicher Weise den schwärmerischen Plan." -- Je mehr Schwärmer man bei einer Religionssecte antrift, je schwärmerischer, die Einbildung nährender, sinnlicher und bildlicher pflegt dann auch das System ihrer Lehren zu seyn; ob gleich auch dies nicht allemal der Fall ist. Eine einzige sehr stark und lebhaft gedachte Jdee ist fähig, ein lebhaftes, oder auch schwermüthiges Gemüth bis zu
Sie fingen an, an einem einsamen Ort eine Stube auszuzieren; bald hing sie voll Bilder erdichteter Scenen und Personen. — — Endlich wurden die Bilder der Phantasie (vornehmlich durch ascetische Schriften des Jesuiten V—) in ihrer Seele so lebhaft, stark und dringend, daß sie sich nun schon aller ihrer uͤbrigen Vorstellungen bemaͤchtigte, und in dieser siegenden Darstellung nur nach ihrer Realitaͤt, sich nur nach wirklicher Befriedigung sehnten. — Sie entschlossen sich, dem Beispiel ihrer Heiligen zu folgen, packten Kleider und Waͤsche ein, und Buͤcher, die von ihrer kuͤnftigen Lebensart handeln. Zur Nahrung wollten sie nichts bei sich haben, da ihnen die naͤchste beste Wurzel Speise war. — Sie bestimmten endlich die Zeit ihrer Pilgrimmsreise, und zwar die Nacht. Sie werden entdeckt, und die Eltern hindern natuͤrlicher Weise den schwaͤrmerischen Plan.« — Je mehr Schwaͤrmer man bei einer Religionssecte antrift, je schwaͤrmerischer, die Einbildung naͤhrender, sinnlicher und bildlicher pflegt dann auch das System ihrer Lehren zu seyn; ob gleich auch dies nicht allemal der Fall ist. Eine einzige sehr stark und lebhaft gedachte Jdee ist faͤhig, ein lebhaftes, oder auch schwermuͤthiges Gemuͤth bis zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0016" n="16"/><lb/> andre Local- und Gemuͤthsumstaͤnde der jungen Leute zu dem Entschluß, Einsiedler zu werden, bewegen.)</p> <p>Sie fingen an, an einem einsamen Ort eine Stube auszuzieren; bald hing sie voll Bilder erdichteter Scenen und Personen. — — Endlich wurden die Bilder der Phantasie (vornehmlich durch ascetische Schriften des Jesuiten V—) in ihrer Seele so lebhaft, stark und dringend, daß sie sich nun schon aller ihrer uͤbrigen Vorstellungen bemaͤchtigte, und in dieser siegenden Darstellung nur nach ihrer Realitaͤt, sich nur nach wirklicher Befriedigung sehnten. — Sie entschlossen sich, dem Beispiel ihrer Heiligen zu folgen, packten Kleider und Waͤsche ein, und Buͤcher, die von ihrer kuͤnftigen Lebensart handeln. Zur Nahrung wollten sie nichts bei sich haben, da ihnen die naͤchste beste Wurzel Speise war. — Sie bestimmten endlich die Zeit ihrer Pilgrimmsreise, und zwar die Nacht. Sie werden entdeckt, und die Eltern hindern natuͤrlicher Weise den schwaͤrmerischen Plan.« —</p> <p>Je mehr Schwaͤrmer man bei einer Religionssecte antrift, je schwaͤrmerischer, die Einbildung naͤhrender, sinnlicher und bildlicher pflegt dann auch das System ihrer Lehren zu seyn; ob gleich auch dies nicht allemal der Fall ist. <hi rendition="#b">Eine einzige</hi> sehr stark und lebhaft gedachte Jdee ist faͤhig, ein lebhaftes, oder auch schwermuͤthiges Gemuͤth bis zu<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0016]
andre Local- und Gemuͤthsumstaͤnde der jungen Leute zu dem Entschluß, Einsiedler zu werden, bewegen.)
Sie fingen an, an einem einsamen Ort eine Stube auszuzieren; bald hing sie voll Bilder erdichteter Scenen und Personen. — — Endlich wurden die Bilder der Phantasie (vornehmlich durch ascetische Schriften des Jesuiten V—) in ihrer Seele so lebhaft, stark und dringend, daß sie sich nun schon aller ihrer uͤbrigen Vorstellungen bemaͤchtigte, und in dieser siegenden Darstellung nur nach ihrer Realitaͤt, sich nur nach wirklicher Befriedigung sehnten. — Sie entschlossen sich, dem Beispiel ihrer Heiligen zu folgen, packten Kleider und Waͤsche ein, und Buͤcher, die von ihrer kuͤnftigen Lebensart handeln. Zur Nahrung wollten sie nichts bei sich haben, da ihnen die naͤchste beste Wurzel Speise war. — Sie bestimmten endlich die Zeit ihrer Pilgrimmsreise, und zwar die Nacht. Sie werden entdeckt, und die Eltern hindern natuͤrlicher Weise den schwaͤrmerischen Plan.« —
Je mehr Schwaͤrmer man bei einer Religionssecte antrift, je schwaͤrmerischer, die Einbildung naͤhrender, sinnlicher und bildlicher pflegt dann auch das System ihrer Lehren zu seyn; ob gleich auch dies nicht allemal der Fall ist. Eine einzige sehr stark und lebhaft gedachte Jdee ist faͤhig, ein lebhaftes, oder auch schwermuͤthiges Gemuͤth bis zu
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/16>, abgerufen am 27.07.2024. |