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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.

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lesen seit einiger Zeit her ausrufende Asceten und märchenvolle Lebensbeschreibungen der Heiligen. Unter andern zog die Lebensart und der heilige romantische Wandel der Waldbrüder ihre Aufmerksamkeit auf sich. Nichts lieber und ergötzender war ihnen, als ein Geschichtchen zu lesen, wie ein frommer Mensch sich entschloß, aus der Welt zu reisen; wie er sich ein ödes Plätzchen tief in der Wildniß unter den Wohnungen von Löwen, Bären, Tiegern, Schlangen, Wölfen und andern wilden Thieren auswählte; da sich aus vier Stangen ein Hüttchen baute, rohe wilde Kräuter zum Mittagsmahl speiste, den ganzen Tag zum Himmel erseufzte, und den Rücken blutig schlug, oder in Dornen zur Abkühlung des Fleisches sich wälzte. (Dieser hohe Grad mönchischer Schwärmerei war aber wohl bei jenen jungen Leuten noch nicht anzunehmen, da in diesen Jahren die Abneigung vor Schmerz noch so stark ist, und das eingebildetverdienstliche jener strengen Ausübungen der Seele des Kindes noch nicht einzuleuchten, wenigstens sie nicht zu gleichen Handlungen zu stimmen scheint. Die beiden jungen Schwärmer, davon Herr Schlichting erzählt, mogten andre Gründe, die Schilderungen des glücklichen ungebundenen Lebens des Einsiedlers; die Freiheit vom Joch elterlicher Erziehung; die Bilder des Abentheuerlichen, welches so leicht die Seele mit sich fort reißt, vielleicht auch ein gefühlvolles Herz für die Schönheiten der Natur, und


lesen seit einiger Zeit her ausrufende Asceten und maͤrchenvolle Lebensbeschreibungen der Heiligen. Unter andern zog die Lebensart und der heilige romantische Wandel der Waldbruͤder ihre Aufmerksamkeit auf sich. Nichts lieber und ergoͤtzender war ihnen, als ein Geschichtchen zu lesen, wie ein frommer Mensch sich entschloß, aus der Welt zu reisen; wie er sich ein oͤdes Plaͤtzchen tief in der Wildniß unter den Wohnungen von Loͤwen, Baͤren, Tiegern, Schlangen, Woͤlfen und andern wilden Thieren auswaͤhlte; da sich aus vier Stangen ein Huͤttchen baute, rohe wilde Kraͤuter zum Mittagsmahl speiste, den ganzen Tag zum Himmel erseufzte, und den Ruͤcken blutig schlug, oder in Dornen zur Abkuͤhlung des Fleisches sich waͤlzte. (Dieser hohe Grad moͤnchischer Schwaͤrmerei war aber wohl bei jenen jungen Leuten noch nicht anzunehmen, da in diesen Jahren die Abneigung vor Schmerz noch so stark ist, und das eingebildetverdienstliche jener strengen Ausuͤbungen der Seele des Kindes noch nicht einzuleuchten, wenigstens sie nicht zu gleichen Handlungen zu stimmen scheint. Die beiden jungen Schwaͤrmer, davon Herr Schlichting erzaͤhlt, mogten andre Gruͤnde, die Schilderungen des gluͤcklichen ungebundenen Lebens des Einsiedlers; die Freiheit vom Joch elterlicher Erziehung; die Bilder des Abentheuerlichen, welches so leicht die Seele mit sich fort reißt, vielleicht auch ein gefuͤhlvolles Herz fuͤr die Schoͤnheiten der Natur, und

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[15/0015] lesen seit einiger Zeit her ausrufende Asceten und maͤrchenvolle Lebensbeschreibungen der Heiligen. Unter andern zog die Lebensart und der heilige romantische Wandel der Waldbruͤder ihre Aufmerksamkeit auf sich. Nichts lieber und ergoͤtzender war ihnen, als ein Geschichtchen zu lesen, wie ein frommer Mensch sich entschloß, aus der Welt zu reisen; wie er sich ein oͤdes Plaͤtzchen tief in der Wildniß unter den Wohnungen von Loͤwen, Baͤren, Tiegern, Schlangen, Woͤlfen und andern wilden Thieren auswaͤhlte; da sich aus vier Stangen ein Huͤttchen baute, rohe wilde Kraͤuter zum Mittagsmahl speiste, den ganzen Tag zum Himmel erseufzte, und den Ruͤcken blutig schlug, oder in Dornen zur Abkuͤhlung des Fleisches sich waͤlzte. (Dieser hohe Grad moͤnchischer Schwaͤrmerei war aber wohl bei jenen jungen Leuten noch nicht anzunehmen, da in diesen Jahren die Abneigung vor Schmerz noch so stark ist, und das eingebildetverdienstliche jener strengen Ausuͤbungen der Seele des Kindes noch nicht einzuleuchten, wenigstens sie nicht zu gleichen Handlungen zu stimmen scheint. Die beiden jungen Schwaͤrmer, davon Herr Schlichting erzaͤhlt, mogten andre Gruͤnde, die Schilderungen des gluͤcklichen ungebundenen Lebens des Einsiedlers; die Freiheit vom Joch elterlicher Erziehung; die Bilder des Abentheuerlichen, welches so leicht die Seele mit sich fort reißt, vielleicht auch ein gefuͤhlvolles Herz fuͤr die Schoͤnheiten der Natur, und

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/15>, abgerufen am 12.10.2024.