Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


auch noch sehr darauf, - manche vornehme Mütter nicht ausgenommen - daß, so lange ein Kind noch nicht getauft ist, es ja genau bewacht werde, damit ein böser Geist nicht ein andres Kind mit dem rechten austauschen könne. Dieser Aberglaube stammt offenbar noch aus den Zeiten her, wo man den Teufel zu einem schadenfrohen Tausendkünstler und Zaubrer machte. An einigen Oertern geht man sogar so weit, daß man die Stelle in der Wiege, wenn man das Kind herausgenommen hat, nicht ledig lässt, sondern unterdessen ein Stück Holz, oder einen Beesen dahin legt, damit der böse Feind nicht seinen Unfug mit der Wiege treiben könne.

Wie sehr noch der gemeine Mann an der Meinung vom Behexen der Kinder hängt, können Sie aus folgender frappanten Anekdote aus einer angesehenen niedersächsischen Stadt sehen, die sich nicht vor gar langer Zeit daselbst zugetragen hat. Ein armes Lutherisches Bürgerweib hatte ein kränkelndes Kind, wovon sie glaubte, daß ihm etwas angethan, oder daß es behext sey. Mit diesem Kinde erschien sie eines Tages in der dortigen katholischen Kirche, worin man sie noch nie bemerkt hatte, und wo sie auch wirklich noch nie gewesen war. Ein angesehener Mann, auch ein Katholik, aber ein aufgeklärter Kopf, der mir diese Geschichte selbst erzählte, bemerkte sie, und


auch noch sehr darauf, – manche vornehme Muͤtter nicht ausgenommen – daß, so lange ein Kind noch nicht getauft ist, es ja genau bewacht werde, damit ein boͤser Geist nicht ein andres Kind mit dem rechten austauschen koͤnne. Dieser Aberglaube stammt offenbar noch aus den Zeiten her, wo man den Teufel zu einem schadenfrohen Tausendkuͤnstler und Zaubrer machte. An einigen Oertern geht man sogar so weit, daß man die Stelle in der Wiege, wenn man das Kind herausgenommen hat, nicht ledig laͤsst, sondern unterdessen ein Stuͤck Holz, oder einen Beesen dahin legt, damit der boͤse Feind nicht seinen Unfug mit der Wiege treiben koͤnne.

Wie sehr noch der gemeine Mann an der Meinung vom Behexen der Kinder haͤngt, koͤnnen Sie aus folgender frappanten Anekdote aus einer angesehenen niedersaͤchsischen Stadt sehen, die sich nicht vor gar langer Zeit daselbst zugetragen hat. Ein armes Lutherisches Buͤrgerweib hatte ein kraͤnkelndes Kind, wovon sie glaubte, daß ihm etwas angethan, oder daß es behext sey. Mit diesem Kinde erschien sie eines Tages in der dortigen katholischen Kirche, worin man sie noch nie bemerkt hatte, und wo sie auch wirklich noch nie gewesen war. Ein angesehener Mann, auch ein Katholik, aber ein aufgeklaͤrter Kopf, der mir diese Geschichte selbst erzaͤhlte, bemerkte sie, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0021" n="19"/><lb/>
auch                   noch sehr darauf, &#x2013; manche vornehme Mu&#x0364;tter nicht ausgenommen &#x2013; daß, so lange ein                   Kind noch nicht getauft ist, es ja genau bewacht werde, damit ein bo&#x0364;ser Geist                   nicht ein andres Kind mit dem rechten austauschen ko&#x0364;nne. Dieser Aberglaube stammt                   offenbar noch aus den Zeiten her, wo man den Teufel zu einem schadenfrohen                   Tausendku&#x0364;nstler und Zaubrer machte. An einigen Oertern geht man sogar so weit, daß                   man die Stelle in der Wiege, wenn man das Kind herausgenommen hat, nicht ledig                   la&#x0364;sst, sondern unterdessen ein Stu&#x0364;ck Holz, oder einen Beesen dahin legt, damit der                   bo&#x0364;se Feind nicht seinen Unfug mit der Wiege treiben ko&#x0364;nne.</p>
            <p>Wie sehr noch der gemeine Mann an der Meinung vom <hi rendition="#b">Behexen</hi> der Kinder ha&#x0364;ngt, ko&#x0364;nnen Sie aus folgender frappanten Anekdote aus einer                   angesehenen niedersa&#x0364;chsischen Stadt sehen, die sich nicht vor gar langer Zeit                   daselbst zugetragen hat. Ein armes <hi rendition="#b">Lutherisches</hi> Bu&#x0364;rgerweib hatte ein kra&#x0364;nkelndes Kind, wovon sie glaubte, daß ihm etwas <hi rendition="#b">angethan,</hi> oder daß es <hi rendition="#b">behext</hi> sey.                   Mit diesem Kinde erschien sie eines Tages in der dortigen katholischen Kirche,                   worin man sie noch nie bemerkt hatte, und wo sie auch wirklich noch nie gewesen                   war. Ein angesehener Mann, auch ein Katholik, aber ein aufgekla&#x0364;rter Kopf, der mir                   diese Geschichte selbst erza&#x0364;hlte, bemerkte sie, und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0021] auch noch sehr darauf, – manche vornehme Muͤtter nicht ausgenommen – daß, so lange ein Kind noch nicht getauft ist, es ja genau bewacht werde, damit ein boͤser Geist nicht ein andres Kind mit dem rechten austauschen koͤnne. Dieser Aberglaube stammt offenbar noch aus den Zeiten her, wo man den Teufel zu einem schadenfrohen Tausendkuͤnstler und Zaubrer machte. An einigen Oertern geht man sogar so weit, daß man die Stelle in der Wiege, wenn man das Kind herausgenommen hat, nicht ledig laͤsst, sondern unterdessen ein Stuͤck Holz, oder einen Beesen dahin legt, damit der boͤse Feind nicht seinen Unfug mit der Wiege treiben koͤnne. Wie sehr noch der gemeine Mann an der Meinung vom Behexen der Kinder haͤngt, koͤnnen Sie aus folgender frappanten Anekdote aus einer angesehenen niedersaͤchsischen Stadt sehen, die sich nicht vor gar langer Zeit daselbst zugetragen hat. Ein armes Lutherisches Buͤrgerweib hatte ein kraͤnkelndes Kind, wovon sie glaubte, daß ihm etwas angethan, oder daß es behext sey. Mit diesem Kinde erschien sie eines Tages in der dortigen katholischen Kirche, worin man sie noch nie bemerkt hatte, und wo sie auch wirklich noch nie gewesen war. Ein angesehener Mann, auch ein Katholik, aber ein aufgeklaͤrter Kopf, der mir diese Geschichte selbst erzaͤhlte, bemerkte sie, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/21
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/21>, abgerufen am 13.10.2024.