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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

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bezeigte ihr sein Erstaunen, was sie mit dem kranken Kinde in der katholischen Kirche wollte. Das Weib ward verlegen, bei weiterm Fragen gestand sie aber endlich, daß sie hierher gekommen sey, um von dem katholischen Priester den Segen über ihr Kind sprechen zu lassen, weil sie gehört, daß ein katholischer Priester dadurch die Krankheit des behexten Kindes wegbannen könne. Einem Katholischen Weibe würde man so etwas nicht verdacht haben, da ihre Religion dergleichen Dinge wirklich lehrt; allein einer Lutherischen Bürgerfrau, die in einer der aufgeklärtesten Städte Teutschlands lebt, wo es eine Menge der besten Aerzte giebt, wäre ein solcher Aberglaube kaum zu verzeihen, wenn sich die gerühmte Aufklärung, wovon die meisten nur gar zu hohe Jdeale im Kopfe haben, auch auf die niedern Stände der Menschheit erstreckte, wo es überall noch so schrecklich dunkel aussieht.

Um die neugebornen Kinder vor den bösen Geistern zu bewahren, welche man gemeiniglich in der Volkssprache gradehin die Unterirdischen nennt, ist man noch auf viele andre Gaukeleien verfallen, worüber in vielen Familien mit strengster Genauigkeit gehalten wird; z.B. daß man aus dem Hause, worin das neugeborne Kind ist, durchaus nichts verleihet, weil es sonst behext werden könnte; daß, um eben dies zu verhüten, des Vaters Hut auf die Wiege gelegt wird; daß man


bezeigte ihr sein Erstaunen, was sie mit dem kranken Kinde in der katholischen Kirche wollte. Das Weib ward verlegen, bei weiterm Fragen gestand sie aber endlich, daß sie hierher gekommen sey, um von dem katholischen Priester den Segen uͤber ihr Kind sprechen zu lassen, weil sie gehoͤrt, daß ein katholischer Priester dadurch die Krankheit des behexten Kindes wegbannen koͤnne. Einem Katholischen Weibe wuͤrde man so etwas nicht verdacht haben, da ihre Religion dergleichen Dinge wirklich lehrt; allein einer Lutherischen Buͤrgerfrau, die in einer der aufgeklaͤrtesten Staͤdte Teutschlands lebt, wo es eine Menge der besten Aerzte giebt, waͤre ein solcher Aberglaube kaum zu verzeihen, wenn sich die geruͤhmte Aufklaͤrung, wovon die meisten nur gar zu hohe Jdeale im Kopfe haben, auch auf die niedern Staͤnde der Menschheit erstreckte, wo es uͤberall noch so schrecklich dunkel aussieht.

Um die neugebornen Kinder vor den boͤsen Geistern zu bewahren, welche man gemeiniglich in der Volkssprache gradehin die Unterirdischen nennt, ist man noch auf viele andre Gaukeleien verfallen, woruͤber in vielen Familien mit strengster Genauigkeit gehalten wird; z.B. daß man aus dem Hause, worin das neugeborne Kind ist, durchaus nichts verleihet, weil es sonst behext werden koͤnnte; daß, um eben dies zu verhuͤten, des Vaters Hut auf die Wiege gelegt wird; daß man

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[20/0022] bezeigte ihr sein Erstaunen, was sie mit dem kranken Kinde in der katholischen Kirche wollte. Das Weib ward verlegen, bei weiterm Fragen gestand sie aber endlich, daß sie hierher gekommen sey, um von dem katholischen Priester den Segen uͤber ihr Kind sprechen zu lassen, weil sie gehoͤrt, daß ein katholischer Priester dadurch die Krankheit des behexten Kindes wegbannen koͤnne. Einem Katholischen Weibe wuͤrde man so etwas nicht verdacht haben, da ihre Religion dergleichen Dinge wirklich lehrt; allein einer Lutherischen Buͤrgerfrau, die in einer der aufgeklaͤrtesten Staͤdte Teutschlands lebt, wo es eine Menge der besten Aerzte giebt, waͤre ein solcher Aberglaube kaum zu verzeihen, wenn sich die geruͤhmte Aufklaͤrung, wovon die meisten nur gar zu hohe Jdeale im Kopfe haben, auch auf die niedern Staͤnde der Menschheit erstreckte, wo es uͤberall noch so schrecklich dunkel aussieht. Um die neugebornen Kinder vor den boͤsen Geistern zu bewahren, welche man gemeiniglich in der Volkssprache gradehin die Unterirdischen nennt, ist man noch auf viele andre Gaukeleien verfallen, woruͤber in vielen Familien mit strengster Genauigkeit gehalten wird; z.B. daß man aus dem Hause, worin das neugeborne Kind ist, durchaus nichts verleihet, weil es sonst behext werden koͤnnte; daß, um eben dies zu verhuͤten, des Vaters Hut auf die Wiege gelegt wird; daß man

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/22>, abgerufen am 21.11.2024.