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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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Die Nothwendigkeit der Sprache erhellet aus der Nothwendigkeit einer menschlichen Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse. -- Die ersten festgesetzten Gedankenzeichen litten bald Abweichungen, und dies aus verschiedenen zufälligen Umständen; Zeit, Ort, Jnteresse, Verbindung u.s.w. machten sie nothwendig; auch die Menschen drücken dasselbe Bedürfniß, dieselbe Jdee nicht immer auf dieselbe Art aus; nicht alle haben einerley Bedürfniße; jeder fast hat seinen eigenen Gesichtspunkt -- fodert auf eine andere Weise Befriedigung seines innern und äußern Dranges u.s.f.

Eine allgemeine Sprachlehre würde die allgemeinere Regeln zu sprechen enthalten, die leicht auf alle besondere Sprachen angewandt werden könnten. Die besondere lehrte ihr eigenes, ihre besondere Ausnahme der allgemeinen Regeln; die allgemeine diente zu einer Einleitung in die untergeordneten mannichfaltigen Sprachlehren, ohne Hinsicht auf die besondern Nationalabänderungen. Obwohl die Verschiedenheit der Sprachen manchen Vortheil und Rechtfertigungsgrund für sich hat, so würden wir vielleicht doch schon weitere Fortschritte in unsern Bemühungen um Aufklärung und in der Annäherung an unsere Bestimmung gemacht haben; es würde mehr Uebereinstimmung, mehr Einigkeit und Einheit der Charaktere der Menschen -- weniger Vorurtheile, Partheisucht, feindliche Gesinnun-


Die Nothwendigkeit der Sprache erhellet aus der Nothwendigkeit einer menschlichen Gesellschaft und ihrer Beduͤrfnisse. — Die ersten festgesetzten Gedankenzeichen litten bald Abweichungen, und dies aus verschiedenen zufaͤlligen Umstaͤnden; Zeit, Ort, Jnteresse, Verbindung u.s.w. machten sie nothwendig; auch die Menschen druͤcken dasselbe Beduͤrfniß, dieselbe Jdee nicht immer auf dieselbe Art aus; nicht alle haben einerley Beduͤrfniße; jeder fast hat seinen eigenen Gesichtspunkt — fodert auf eine andere Weise Befriedigung seines innern und aͤußern Dranges u.s.f.

Eine allgemeine Sprachlehre wuͤrde die allgemeinere Regeln zu sprechen enthalten, die leicht auf alle besondere Sprachen angewandt werden koͤnnten. Die besondere lehrte ihr eigenes, ihre besondere Ausnahme der allgemeinen Regeln; die allgemeine diente zu einer Einleitung in die untergeordneten mannichfaltigen Sprachlehren, ohne Hinsicht auf die besondern Nationalabaͤnderungen. Obwohl die Verschiedenheit der Sprachen manchen Vortheil und Rechtfertigungsgrund fuͤr sich hat, so wuͤrden wir vielleicht doch schon weitere Fortschritte in unsern Bemuͤhungen um Aufklaͤrung und in der Annaͤherung an unsere Bestimmung gemacht haben; es wuͤrde mehr Uebereinstimmung, mehr Einigkeit und Einheit der Charaktere der Menschen — weniger Vorurtheile, Partheisucht, feindliche Gesinnun-

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[83/0083] Die Nothwendigkeit der Sprache erhellet aus der Nothwendigkeit einer menschlichen Gesellschaft und ihrer Beduͤrfnisse. — Die ersten festgesetzten Gedankenzeichen litten bald Abweichungen, und dies aus verschiedenen zufaͤlligen Umstaͤnden; Zeit, Ort, Jnteresse, Verbindung u.s.w. machten sie nothwendig; auch die Menschen druͤcken dasselbe Beduͤrfniß, dieselbe Jdee nicht immer auf dieselbe Art aus; nicht alle haben einerley Beduͤrfniße; jeder fast hat seinen eigenen Gesichtspunkt — fodert auf eine andere Weise Befriedigung seines innern und aͤußern Dranges u.s.f. Eine allgemeine Sprachlehre wuͤrde die allgemeinere Regeln zu sprechen enthalten, die leicht auf alle besondere Sprachen angewandt werden koͤnnten. Die besondere lehrte ihr eigenes, ihre besondere Ausnahme der allgemeinen Regeln; die allgemeine diente zu einer Einleitung in die untergeordneten mannichfaltigen Sprachlehren, ohne Hinsicht auf die besondern Nationalabaͤnderungen. Obwohl die Verschiedenheit der Sprachen manchen Vortheil und Rechtfertigungsgrund fuͤr sich hat, so wuͤrden wir vielleicht doch schon weitere Fortschritte in unsern Bemuͤhungen um Aufklaͤrung und in der Annaͤherung an unsere Bestimmung gemacht haben; es wuͤrde mehr Uebereinstimmung, mehr Einigkeit und Einheit der Charaktere der Menschen — weniger Vorurtheile, Partheisucht, feindliche Gesinnun-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/83>, abgerufen am 28.04.2024.