Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Als ich das letztemahl mit ihm sprach, sagte er mir mit einer lächelnden Miene, daß seine Geschichte beinahe vor einiger Zeit in die Seelenkunde gekommen wäre, wohin sie sein Pflegvater, nebst seiner Silhouette habe einschicken wollen, welches letztere er sich aber verbeten habe. Uebrigens aber schien es ihm doch ein Vergnügen zu machen, wenn ich ihm sagte: daß erwohl noch einmahl ohne Silhouette ein Plätzchen in diesem Magazin finden könne. Mir ist noch ein anderes ähnliches Beispiel von einem Hange zum Stehlen bekannt, den man beinahe für angeboren halten könnte. Eine Frau zu D -- hatte ihrem Mann schon oft heimlich etwas Geld weggenommen. Sie versucht diese Dieberei eines Tages bei der Abwesenheit des Mannes wieder, und ist eben beschäftigt einen Griff in die Casse
Als ich das letztemahl mit ihm sprach, sagte er mir mit einer laͤchelnden Miene, daß seine Geschichte beinahe vor einiger Zeit in die Seelenkunde gekommen waͤre, wohin sie sein Pflegvater, nebst seiner Silhouette habe einschicken wollen, welches letztere er sich aber verbeten habe. Uebrigens aber schien es ihm doch ein Vergnuͤgen zu machen, wenn ich ihm sagte: daß erwohl noch einmahl ohne Silhouette ein Plaͤtzchen in diesem Magazin finden koͤnne. Mir ist noch ein anderes aͤhnliches Beispiel von einem Hange zum Stehlen bekannt, den man beinahe fuͤr angeboren halten koͤnnte. Eine Frau zu D — hatte ihrem Mann schon oft heimlich etwas Geld weggenommen. Sie versucht diese Dieberei eines Tages bei der Abwesenheit des Mannes wieder, und ist eben beschaͤftigt einen Griff in die Casse <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0045" n="45"/><lb/> geworden, den er hernach nie wieder ablegen konnte. Von den Talenten seines Kopfs habe ich schon oben gesprochen. Er hatte eine leichte Gabe, wenn er wollte, witzig zu seyn, und besaß eine nicht gemeine Galanterie gegen das andere Geschlecht, dem er oft sehr feine Schmeicheleien zu sagen wußte. Er las sehr fleißig in englischen und franzoͤsischen Buͤchern, und hatte die erstere Sprache in einer Zeit von vier Wochen durch Huͤlfe eines Lexicons allein gelernt. Die Buͤcher, die er las, suchte er uͤbrigens zusammenzuborgen, wo er sie finden und bekommen konnte.</p> <p>Als ich das letztemahl mit ihm sprach, sagte er mir mit einer laͤchelnden Miene, daß seine Geschichte beinahe vor einiger Zeit in die Seelenkunde gekommen waͤre, wohin sie sein Pflegvater, nebst seiner Silhouette habe einschicken wollen, welches letztere er sich aber verbeten habe. Uebrigens aber schien es ihm doch ein Vergnuͤgen zu machen, wenn ich ihm sagte: daß erwohl noch einmahl ohne Silhouette ein Plaͤtzchen in diesem Magazin finden koͤnne.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Mir ist noch ein anderes aͤhnliches Beispiel von einem Hange zum Stehlen bekannt, den man beinahe fuͤr angeboren halten koͤnnte. Eine Frau zu D — hatte ihrem Mann schon oft heimlich etwas Geld weggenommen. Sie versucht diese Dieberei eines Tages bei der Abwesenheit des Mannes wieder, und ist eben beschaͤftigt einen Griff in die Casse<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0045]
geworden, den er hernach nie wieder ablegen konnte. Von den Talenten seines Kopfs habe ich schon oben gesprochen. Er hatte eine leichte Gabe, wenn er wollte, witzig zu seyn, und besaß eine nicht gemeine Galanterie gegen das andere Geschlecht, dem er oft sehr feine Schmeicheleien zu sagen wußte. Er las sehr fleißig in englischen und franzoͤsischen Buͤchern, und hatte die erstere Sprache in einer Zeit von vier Wochen durch Huͤlfe eines Lexicons allein gelernt. Die Buͤcher, die er las, suchte er uͤbrigens zusammenzuborgen, wo er sie finden und bekommen konnte.
Als ich das letztemahl mit ihm sprach, sagte er mir mit einer laͤchelnden Miene, daß seine Geschichte beinahe vor einiger Zeit in die Seelenkunde gekommen waͤre, wohin sie sein Pflegvater, nebst seiner Silhouette habe einschicken wollen, welches letztere er sich aber verbeten habe. Uebrigens aber schien es ihm doch ein Vergnuͤgen zu machen, wenn ich ihm sagte: daß erwohl noch einmahl ohne Silhouette ein Plaͤtzchen in diesem Magazin finden koͤnne.
Mir ist noch ein anderes aͤhnliches Beispiel von einem Hange zum Stehlen bekannt, den man beinahe fuͤr angeboren halten koͤnnte. Eine Frau zu D — hatte ihrem Mann schon oft heimlich etwas Geld weggenommen. Sie versucht diese Dieberei eines Tages bei der Abwesenheit des Mannes wieder, und ist eben beschaͤftigt einen Griff in die Casse
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/45>, abgerufen am 22.07.2024. |