Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Eines Tages lag er beinahe ganz sprachlos und entkräftet auf seinem Krankenlager, als ein Bekannter in die Stube trat und sich nach seinem Befinden erkundigte. Auf einmahl schien wieder einiges Leben in den ausgemergelten Körper des Kranken zu kommen, und man bemerkte, daß er einigemahl seine kraftlose Hand auszustrecken suchte, die aber vor Mattigkeit sogleich wieder aufs Bette zurücksank. Man verstand es gleich, was der Kranke von dem Angekommenen verlange, er wollte nehmlich noch zuletzt etwas Geld haben, man fragte ihn daher: ob er sein Verlangen nicht mit Worten ausdrücken könne? Nun strengte der arme Mensch noch
Eines Tages lag er beinahe ganz sprachlos und entkraͤftet auf seinem Krankenlager, als ein Bekannter in die Stube trat und sich nach seinem Befinden erkundigte. Auf einmahl schien wieder einiges Leben in den ausgemergelten Koͤrper des Kranken zu kommen, und man bemerkte, daß er einigemahl seine kraftlose Hand auszustrecken suchte, die aber vor Mattigkeit sogleich wieder aufs Bette zuruͤcksank. Man verstand es gleich, was der Kranke von dem Angekommenen verlange, er wollte nehmlich noch zuletzt etwas Geld haben, man fragte ihn daher: ob er sein Verlangen nicht mit Worten ausdruͤcken koͤnne? Nun strengte der arme Mensch noch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0042" n="42"/><lb/> vorstehenden Tode, und gab noch eine besondere Probe von <hi rendition="#b">Gewissenhaftigkeit</hi> und <hi rendition="#b">Gedaͤchtnißstaͤrke</hi> von sich, die man bei seinem zerruͤtteten Nervensystem kaum vermuthen konnte. Es fiel ihm nehmlich in seiner Krankheit ein, daß er noch vielen Menschen etwas schuldig sey, was er ihnen vor mehrern Jahren abgeborgt habe. Er nannte gegen 50 verschiedene Personen nach ihren Staͤnden und Namen, von welchen er vor vielen Jahren Kleinigkeiten an Geld, zu 1 – 16 Gr., auch wohl nur wenige Pfennige und andere Sachen geliehen hatte, und befahl, daß diesen Leuten alles bei Heller und Pfennigen wiedererstattet werden moͤchte, weil er sonst nicht ruhig sterben koͤnne. Einen großen Theil seines Vermoͤgens vermachte er an die Armen, und erwartete nun seinen Tod.</p> <p>Eines Tages lag er beinahe ganz sprachlos und entkraͤftet auf seinem Krankenlager, als ein Bekannter in die Stube trat und sich nach seinem Befinden erkundigte. Auf einmahl schien wieder einiges Leben in den ausgemergelten Koͤrper des Kranken zu kommen, und man bemerkte, daß er einigemahl seine kraftlose Hand auszustrecken suchte, die aber vor Mattigkeit sogleich wieder aufs Bette zuruͤcksank. Man verstand es gleich, was der Kranke von dem Angekommenen verlange, er wollte nehmlich noch zuletzt etwas Geld haben, man fragte ihn daher: ob er sein Verlangen nicht mit Worten ausdruͤcken koͤnne? Nun strengte der arme Mensch noch<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0042]
vorstehenden Tode, und gab noch eine besondere Probe von Gewissenhaftigkeit und Gedaͤchtnißstaͤrke von sich, die man bei seinem zerruͤtteten Nervensystem kaum vermuthen konnte. Es fiel ihm nehmlich in seiner Krankheit ein, daß er noch vielen Menschen etwas schuldig sey, was er ihnen vor mehrern Jahren abgeborgt habe. Er nannte gegen 50 verschiedene Personen nach ihren Staͤnden und Namen, von welchen er vor vielen Jahren Kleinigkeiten an Geld, zu 1 – 16 Gr., auch wohl nur wenige Pfennige und andere Sachen geliehen hatte, und befahl, daß diesen Leuten alles bei Heller und Pfennigen wiedererstattet werden moͤchte, weil er sonst nicht ruhig sterben koͤnne. Einen großen Theil seines Vermoͤgens vermachte er an die Armen, und erwartete nun seinen Tod.
Eines Tages lag er beinahe ganz sprachlos und entkraͤftet auf seinem Krankenlager, als ein Bekannter in die Stube trat und sich nach seinem Befinden erkundigte. Auf einmahl schien wieder einiges Leben in den ausgemergelten Koͤrper des Kranken zu kommen, und man bemerkte, daß er einigemahl seine kraftlose Hand auszustrecken suchte, die aber vor Mattigkeit sogleich wieder aufs Bette zuruͤcksank. Man verstand es gleich, was der Kranke von dem Angekommenen verlange, er wollte nehmlich noch zuletzt etwas Geld haben, man fragte ihn daher: ob er sein Verlangen nicht mit Worten ausdruͤcken koͤnne? Nun strengte der arme Mensch noch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/42 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/42>, abgerufen am 22.07.2024. |