Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


gebracht hatte, denn nun hatte ich nur noch einen Grad von Erboßtseyn bei ihr zu erreichen, wohin ichs bringen mußte, ehe ich ruhig werden konnte. Jch spitzte meine Pfeile noch feiner zu, -- sie hörte endlich auf mir zu antworten, und ein Thränenstrom stürzte aus ihren Augen. Jch kann es keiner menschlichen Seele beschreiben, wie mir dann zu Muthe ward, wenn ich meine innigst geliebte Freundinn weinen sah. Himmel und Erde lag nun auf mir; jedes meiner Worte kam mir als die ungerechteste Sünde vor, und ich hätte in meinem Gefühl, einem unschuldigen Weibe Unrecht gethan zu haben, vergehen mögen; -- -- was that ich nun? ich wurde der reuigste Sünder von der Welt, ich beschwur sie, mir zu vergeben, ich weinte selbst wie ein Kind, und küßte ihr die Thränen von den Wangen. Jn dem Augenblick hätte ich mein Leben für meine Freundinn lassen können, wenn ich ihr dadurch meine innigste Reue zu bezeugen im Stande gewesen wäre; zugleich empfand ich auch dabei eine solche seelige Wehmuth, wenn sie mir zu vergeben schien, und endlich würklich vergab, die ich mit keiner genossenen Glückseligkeit des Lebens vergleichen kann. Jch erinnere mich, daß ich mehreremahl diese sonderbare Rolle mit ihr gespielt habe, und ich spielte sie würklich einmahl blos deswegen mit ihr, um das wehmüthige Gefühl der Reue recht lebhaft zu empfinden und die Vergebung hinterher in ihrem Auge zu lesen.So ein widersprechendes


gebracht hatte, denn nun hatte ich nur noch einen Grad von Erboßtseyn bei ihr zu erreichen, wohin ichs bringen mußte, ehe ich ruhig werden konnte. Jch spitzte meine Pfeile noch feiner zu, — sie hoͤrte endlich auf mir zu antworten, und ein Thraͤnenstrom stuͤrzte aus ihren Augen. Jch kann es keiner menschlichen Seele beschreiben, wie mir dann zu Muthe ward, wenn ich meine innigst geliebte Freundinn weinen sah. Himmel und Erde lag nun auf mir; jedes meiner Worte kam mir als die ungerechteste Suͤnde vor, und ich haͤtte in meinem Gefuͤhl, einem unschuldigen Weibe Unrecht gethan zu haben, vergehen moͤgen; — — was that ich nun? ich wurde der reuigste Suͤnder von der Welt, ich beschwur sie, mir zu vergeben, ich weinte selbst wie ein Kind, und kuͤßte ihr die Thraͤnen von den Wangen. Jn dem Augenblick haͤtte ich mein Leben fuͤr meine Freundinn lassen koͤnnen, wenn ich ihr dadurch meine innigste Reue zu bezeugen im Stande gewesen waͤre; zugleich empfand ich auch dabei eine solche seelige Wehmuth, wenn sie mir zu vergeben schien, und endlich wuͤrklich vergab, die ich mit keiner genossenen Gluͤckseligkeit des Lebens vergleichen kann. Jch erinnere mich, daß ich mehreremahl diese sonderbare Rolle mit ihr gespielt habe, und ich spielte sie wuͤrklich einmahl blos deswegen mit ihr, um das wehmuͤthige Gefuͤhl der Reue recht lebhaft zu empfinden und die Vergebung hinterher in ihrem Auge zu lesen.So ein widersprechendes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="126"/><lb/>
gebracht hatte, denn nun hatte ich nur noch einen Grad von Erboßtseyn bei ihr zu                   erreichen, wohin ichs bringen mußte, ehe ich ruhig werden konnte. Jch spitzte                   meine Pfeile noch feiner zu, &#x2014; sie ho&#x0364;rte endlich auf mir zu antworten, und ein                   Thra&#x0364;nenstrom stu&#x0364;rzte aus ihren Augen. Jch kann es keiner menschlichen Seele                   beschreiben, wie mir dann zu Muthe ward, wenn ich meine innigst geliebte Freundinn <hi rendition="#b">weinen</hi> sah. Himmel und Erde lag nun auf mir; jedes                   meiner Worte kam mir als die ungerechteste Su&#x0364;nde vor, und ich ha&#x0364;tte in meinem                   Gefu&#x0364;hl, einem unschuldigen Weibe Unrecht gethan zu haben, vergehen mo&#x0364;gen; &#x2014; &#x2014; was                   that ich nun? ich wurde der reuigste Su&#x0364;nder von der Welt, ich beschwur sie, mir zu                   vergeben, ich weinte selbst wie ein Kind, und ku&#x0364;ßte ihr die Thra&#x0364;nen von den                   Wangen. Jn dem Augenblick ha&#x0364;tte ich mein Leben fu&#x0364;r meine Freundinn lassen ko&#x0364;nnen,                   wenn ich ihr dadurch meine innigste Reue zu bezeugen im Stande gewesen wa&#x0364;re;                   zugleich empfand ich auch dabei eine solche seelige Wehmuth, wenn sie mir zu                   vergeben schien, und endlich wu&#x0364;rklich vergab, die ich mit keiner genossenen                   Glu&#x0364;ckseligkeit des Lebens vergleichen kann. Jch erinnere mich, daß ich mehreremahl                   diese sonderbare Rolle mit ihr gespielt habe, und ich spielte sie wu&#x0364;rklich einmahl                   blos deswegen mit ihr, um <hi rendition="#b">das wehmu&#x0364;thige Gefu&#x0364;hl der Reue </hi> recht lebhaft zu empfinden und die Vergebung hinterher in ihrem Auge zu lesen.So                   ein widersprechendes<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0126] gebracht hatte, denn nun hatte ich nur noch einen Grad von Erboßtseyn bei ihr zu erreichen, wohin ichs bringen mußte, ehe ich ruhig werden konnte. Jch spitzte meine Pfeile noch feiner zu, — sie hoͤrte endlich auf mir zu antworten, und ein Thraͤnenstrom stuͤrzte aus ihren Augen. Jch kann es keiner menschlichen Seele beschreiben, wie mir dann zu Muthe ward, wenn ich meine innigst geliebte Freundinn weinen sah. Himmel und Erde lag nun auf mir; jedes meiner Worte kam mir als die ungerechteste Suͤnde vor, und ich haͤtte in meinem Gefuͤhl, einem unschuldigen Weibe Unrecht gethan zu haben, vergehen moͤgen; — — was that ich nun? ich wurde der reuigste Suͤnder von der Welt, ich beschwur sie, mir zu vergeben, ich weinte selbst wie ein Kind, und kuͤßte ihr die Thraͤnen von den Wangen. Jn dem Augenblick haͤtte ich mein Leben fuͤr meine Freundinn lassen koͤnnen, wenn ich ihr dadurch meine innigste Reue zu bezeugen im Stande gewesen waͤre; zugleich empfand ich auch dabei eine solche seelige Wehmuth, wenn sie mir zu vergeben schien, und endlich wuͤrklich vergab, die ich mit keiner genossenen Gluͤckseligkeit des Lebens vergleichen kann. Jch erinnere mich, daß ich mehreremahl diese sonderbare Rolle mit ihr gespielt habe, und ich spielte sie wuͤrklich einmahl blos deswegen mit ihr, um das wehmuͤthige Gefuͤhl der Reue recht lebhaft zu empfinden und die Vergebung hinterher in ihrem Auge zu lesen.So ein widersprechendes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/126
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/126>, abgerufen am 05.05.2024.