Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.6. Liebe, die gegen den geliebten Gegenstand sehr bitter sein kann. ![]() Es giebt wenige Menschen, die nicht zuweilen eine Neigung in sich fühlen sollten, Andern etwas Bitteres zu sagen; nicht immer, um sie zu beunruhigen; sondern nur um es zu sagen, um ihren Witz zu zeigen und ihrer Galle freien Lauf zu lassen. Unsere übele Laune ist dann gemeiniglich mit im Spiel, und wir folgen ihren Eindrücken zu schnell, als daß wir immer die Moralität eines Gedankens, einer Handlung genau erwägen könnten. Die menschliche Seele besitzt einen gewissen Starrsinn, um ihre Endzwecke zu erreichen, und wir können bei aller Gutmüthigkeit des Temperaments oft boshaft werden, um einen gewissen Endzweck zu erreichen. Wir wünschen oft Andere zu ärgern, weil wir sonst keine Gelegenheit haben, ihnen unser Uebergewicht sowohl, als unser Mißfallen zu bezeugen; oft aber denken wir auch nur einen Andern in eine Art Zorn zu versetzen, um zu sehen, wie sich Jener dabei hat, und wie weit wir im Besitz seines Herzens gekommen sind. Hier sind einige Facta aus meinem Leben. 6. Liebe, die gegen den geliebten Gegenstand sehr bitter sein kann. ![]() Es giebt wenige Menschen, die nicht zuweilen eine Neigung in sich fuͤhlen sollten, Andern etwas Bitteres zu sagen; nicht immer, um sie zu beunruhigen; sondern nur um es zu sagen, um ihren Witz zu zeigen und ihrer Galle freien Lauf zu lassen. Unsere uͤbele Laune ist dann gemeiniglich mit im Spiel, und wir folgen ihren Eindruͤcken zu schnell, als daß wir immer die Moralitaͤt eines Gedankens, einer Handlung genau erwaͤgen koͤnnten. Die menschliche Seele besitzt einen gewissen Starrsinn, um ihre Endzwecke zu erreichen, und wir koͤnnen bei aller Gutmuͤthigkeit des Temperaments oft boshaft werden, um einen gewissen Endzweck zu erreichen. Wir wuͤnschen oft Andere zu aͤrgern, weil wir sonst keine Gelegenheit haben, ihnen unser Uebergewicht sowohl, als unser Mißfallen zu bezeugen; oft aber denken wir auch nur einen Andern in eine Art Zorn zu versetzen, um zu sehen, wie sich Jener dabei hat, und wie weit wir im Besitz seines Herzens gekommen sind. Hier sind einige Facta aus meinem Leben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0124" n="124"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>6. Liebe, die gegen den geliebten Gegenstand sehr bitter sein kann.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref36"><note type="editorial"/>W.</persName> </bibl> </note> <p>Es giebt wenige Menschen, die nicht zuweilen eine Neigung in sich fuͤhlen sollten, Andern etwas <hi rendition="#b">Bitteres</hi> zu sagen; nicht immer, um sie zu beunruhigen; sondern nur um es zu sagen, um ihren Witz zu zeigen und ihrer Galle freien Lauf zu lassen. Unsere uͤbele Laune ist dann gemeiniglich mit im Spiel, und wir folgen ihren Eindruͤcken zu schnell, als daß wir immer die Moralitaͤt eines Gedankens, einer Handlung genau erwaͤgen koͤnnten.</p> <p>Die menschliche Seele besitzt einen gewissen Starrsinn, um ihre Endzwecke zu erreichen, und wir koͤnnen bei aller Gutmuͤthigkeit des Temperaments oft boshaft werden, um einen gewissen Endzweck zu erreichen. Wir wuͤnschen oft Andere zu <hi rendition="#b">aͤrgern,</hi> weil wir sonst keine Gelegenheit haben, ihnen unser <hi rendition="#b">Uebergewicht</hi> sowohl, als unser <hi rendition="#b">Mißfallen</hi> zu bezeugen; oft aber denken wir auch nur einen Andern in eine Art Zorn zu versetzen, um zu sehen, wie sich Jener dabei hat, und wie weit wir im Besitz seines Herzens gekommen sind.</p> <p>Hier sind einige Facta aus meinem Leben.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0124]
6. Liebe, die gegen den geliebten Gegenstand sehr bitter sein kann.
Es giebt wenige Menschen, die nicht zuweilen eine Neigung in sich fuͤhlen sollten, Andern etwas Bitteres zu sagen; nicht immer, um sie zu beunruhigen; sondern nur um es zu sagen, um ihren Witz zu zeigen und ihrer Galle freien Lauf zu lassen. Unsere uͤbele Laune ist dann gemeiniglich mit im Spiel, und wir folgen ihren Eindruͤcken zu schnell, als daß wir immer die Moralitaͤt eines Gedankens, einer Handlung genau erwaͤgen koͤnnten.
Die menschliche Seele besitzt einen gewissen Starrsinn, um ihre Endzwecke zu erreichen, und wir koͤnnen bei aller Gutmuͤthigkeit des Temperaments oft boshaft werden, um einen gewissen Endzweck zu erreichen. Wir wuͤnschen oft Andere zu aͤrgern, weil wir sonst keine Gelegenheit haben, ihnen unser Uebergewicht sowohl, als unser Mißfallen zu bezeugen; oft aber denken wir auch nur einen Andern in eine Art Zorn zu versetzen, um zu sehen, wie sich Jener dabei hat, und wie weit wir im Besitz seines Herzens gekommen sind.
Hier sind einige Facta aus meinem Leben.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/124>, abgerufen am 22.07.2024. |