Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.3. Ein Traum. ![]() Der seel. Prof. Meier in Halle wurde eines Tages zu einem seiner Zuhörer gerufen, welcher gefährlich krank war. Der Patient versicherte seinem Lehrer, daß er gewiß sterben würde, weil er darüber einen sonderbaren Traum gehabt habe, und er habe ihn (Meiern) vornehmlich deswegen zu sich kommen lassen, um ihm diesen Traum anzuvertrauen, welchen er selbst wörtlich aufgezeichnet und in sein Schreibpult verschlossen hätte. Er gab darauf Meiern den Schlüssel dazu, und bath ihn, die in einem gewissen Kästchen befindlichen Papiere nach seinem Tode zu sich zu nehmen, und wenn sein Traum eingetroffen sey, ihn der Welt bekannt zu machen. Der Student starb auch würklich kurze Zeit darauf, wie er vorher gesagt hatte; Professor Meier öffnete das Schreibpult, und fand ein versiegeltes Päckchen, worinn denn folgender Traum des Verstorbenen aufgezeichnet war: "Jch ging vor einiger Zeit auf dem hallischen schönen Kirchhofe vor dem Galgthore spatziren. Die vielen vortrefflichen Leichensteine und Epitaphien gefielen mir ausserordentlich, ich besahe eins nach dem andern, las ihre Aufschriften, und wollte mich endlich entfernen, als ich auf einen Leichenstein stieß, 3. Ein Traum. ![]() Der seel. Prof. Meier in Halle wurde eines Tages zu einem seiner Zuhoͤrer gerufen, welcher gefaͤhrlich krank war. Der Patient versicherte seinem Lehrer, daß er gewiß sterben wuͤrde, weil er daruͤber einen sonderbaren Traum gehabt habe, und er habe ihn (Meiern) vornehmlich deswegen zu sich kommen lassen, um ihm diesen Traum anzuvertrauen, welchen er selbst woͤrtlich aufgezeichnet und in sein Schreibpult verschlossen haͤtte. Er gab darauf Meiern den Schluͤssel dazu, und bath ihn, die in einem gewissen Kaͤstchen befindlichen Papiere nach seinem Tode zu sich zu nehmen, und wenn sein Traum eingetroffen sey, ihn der Welt bekannt zu machen. Der Student starb auch wuͤrklich kurze Zeit darauf, wie er vorher gesagt hatte; Professor Meier oͤffnete das Schreibpult, und fand ein versiegeltes Paͤckchen, worinn denn folgender Traum des Verstorbenen aufgezeichnet war: »Jch ging vor einiger Zeit auf dem hallischen schoͤnen Kirchhofe vor dem Galgthore spatziren. Die vielen vortrefflichen Leichensteine und Epitaphien gefielen mir ausserordentlich, ich besahe eins nach dem andern, las ihre Aufschriften, und wollte mich endlich entfernen, als ich auf einen Leichenstein stieß, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0103" n="103"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>3. Ein Traum.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref35"><note type="editorial"/>N-</persName> </bibl> </note> <p>Der seel. Prof. Meier in Halle wurde eines Tages zu einem seiner Zuhoͤrer gerufen, welcher gefaͤhrlich krank war. Der Patient versicherte seinem Lehrer, daß <hi rendition="#b">er gewiß</hi> sterben wuͤrde, weil er daruͤber einen sonderbaren Traum gehabt habe, und er habe ihn (Meiern) vornehmlich deswegen zu sich kommen lassen, um ihm diesen Traum anzuvertrauen, welchen er selbst woͤrtlich aufgezeichnet und in sein Schreibpult verschlossen haͤtte. Er gab darauf Meiern den Schluͤssel dazu, und bath ihn, die in einem gewissen Kaͤstchen befindlichen Papiere nach seinem Tode zu sich zu nehmen, und wenn sein Traum eingetroffen sey, ihn der Welt bekannt zu machen.</p> <p>Der Student starb auch wuͤrklich kurze Zeit darauf, wie er vorher gesagt hatte; Professor Meier oͤffnete das Schreibpult, und fand ein versiegeltes Paͤckchen, worinn denn folgender Traum des Verstorbenen aufgezeichnet war:</p> <p>»Jch ging vor einiger Zeit auf dem hallischen schoͤnen Kirchhofe vor dem Galgthore spatziren. Die vielen vortrefflichen Leichensteine und Epitaphien gefielen mir ausserordentlich, ich besahe eins nach dem andern, las ihre Aufschriften, und wollte mich endlich entfernen, als ich auf einen Leichenstein stieß,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0103]
3. Ein Traum.
Der seel. Prof. Meier in Halle wurde eines Tages zu einem seiner Zuhoͤrer gerufen, welcher gefaͤhrlich krank war. Der Patient versicherte seinem Lehrer, daß er gewiß sterben wuͤrde, weil er daruͤber einen sonderbaren Traum gehabt habe, und er habe ihn (Meiern) vornehmlich deswegen zu sich kommen lassen, um ihm diesen Traum anzuvertrauen, welchen er selbst woͤrtlich aufgezeichnet und in sein Schreibpult verschlossen haͤtte. Er gab darauf Meiern den Schluͤssel dazu, und bath ihn, die in einem gewissen Kaͤstchen befindlichen Papiere nach seinem Tode zu sich zu nehmen, und wenn sein Traum eingetroffen sey, ihn der Welt bekannt zu machen.
Der Student starb auch wuͤrklich kurze Zeit darauf, wie er vorher gesagt hatte; Professor Meier oͤffnete das Schreibpult, und fand ein versiegeltes Paͤckchen, worinn denn folgender Traum des Verstorbenen aufgezeichnet war:
»Jch ging vor einiger Zeit auf dem hallischen schoͤnen Kirchhofe vor dem Galgthore spatziren. Die vielen vortrefflichen Leichensteine und Epitaphien gefielen mir ausserordentlich, ich besahe eins nach dem andern, las ihre Aufschriften, und wollte mich endlich entfernen, als ich auf einen Leichenstein stieß,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/103>, abgerufen am 22.07.2024. |