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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

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alle diese ganz voneinander verschiednen Wörter doch im Grunde nur Modifikationen eines und eben desselben Begriffes ausdrücken?

Vielleicht ist dieß gerade der einzige Begriff, dessen Modifikationen zugleich sein Wesen ändern. --

Das vergangne seyn z.B. ist eben so wesentlich von dem gegenwärtigen seyn verschieden, als die Vergangenheit selbst von der Gegenwart verschieden ist; was Wunder also, daß man diese, im Grunde ganz voneinander verschiedne Begriffe, auch durch ganz verschiedne Wörter zu bezeichnen suchte?

Um die anschauende Erkenntniß von dem Daseyn eines Dinges zu bezeichnen, bedient sich die Deutsche Sprache des zirkumskribirenden, oder ein Ding auf sich selbst einschränkenden b

ich bin -- du bist.

Woher dieß b grade bei der ersten und zweiten Person, das nachher nie wieder vorkommt? -- Die Silbe be vor ein Verbum gesetzt, bedeutet, daß sich die Handlung, welche durch das Verbum bezeichnet wird, gleichsam um etwas rund herum erstrecken soll -- als von schneiden, beschneiden, von sehen, besehen, von leuchten, beleuchten. -- Man sieht hieraus, daß es als Wurzellaut sehr gut gebraucht werden könne, um die isolirte, durch sich selbst umschränkte, und aus der Masse der übrigen Dinge herausgehobne Persönlichkeit, oder Selbstgefühl zu bezeichnen, welches wir durch


alle diese ganz voneinander verschiednen Woͤrter doch im Grunde nur Modifikationen eines und eben desselben Begriffes ausdruͤcken?

Vielleicht ist dieß gerade der einzige Begriff, dessen Modifikationen zugleich sein Wesen aͤndern. —

Das vergangne seyn z.B. ist eben so wesentlich von dem gegenwaͤrtigen seyn verschieden, als die Vergangenheit selbst von der Gegenwart verschieden ist; was Wunder also, daß man diese, im Grunde ganz voneinander verschiedne Begriffe, auch durch ganz verschiedne Woͤrter zu bezeichnen suchte?

Um die anschauende Erkenntniß von dem Daseyn eines Dinges zu bezeichnen, bedient sich die Deutsche Sprache des zirkumskribirenden, oder ein Ding auf sich selbst einschraͤnkenden b

ich bin — du bist.

Woher dieß b grade bei der ersten und zweiten Person, das nachher nie wieder vorkommt? — Die Silbe be vor ein Verbum gesetzt, bedeutet, daß sich die Handlung, welche durch das Verbum bezeichnet wird, gleichsam um etwas rund herum erstrecken soll — als von schneiden, beschneiden, von sehen, besehen, von leuchten, beleuchten. — Man sieht hieraus, daß es als Wurzellaut sehr gut gebraucht werden koͤnne, um die isolirte, durch sich selbst umschraͤnkte, und aus der Masse der uͤbrigen Dinge herausgehobne Persoͤnlichkeit, oder Selbstgefuͤhl zu bezeichnen, welches wir durch

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[97/0097] alle diese ganz voneinander verschiednen Woͤrter doch im Grunde nur Modifikationen eines und eben desselben Begriffes ausdruͤcken? Vielleicht ist dieß gerade der einzige Begriff, dessen Modifikationen zugleich sein Wesen aͤndern. — Das vergangne seyn z.B. ist eben so wesentlich von dem gegenwaͤrtigen seyn verschieden, als die Vergangenheit selbst von der Gegenwart verschieden ist; was Wunder also, daß man diese, im Grunde ganz voneinander verschiedne Begriffe, auch durch ganz verschiedne Woͤrter zu bezeichnen suchte? Um die anschauende Erkenntniß von dem Daseyn eines Dinges zu bezeichnen, bedient sich die Deutsche Sprache des zirkumskribirenden, oder ein Ding auf sich selbst einschraͤnkenden b ich bin — du bist. Woher dieß b grade bei der ersten und zweiten Person, das nachher nie wieder vorkommt? — Die Silbe be vor ein Verbum gesetzt, bedeutet, daß sich die Handlung, welche durch das Verbum bezeichnet wird, gleichsam um etwas rund herum erstrecken soll — als von schneiden, beschneiden, von sehen, besehen, von leuchten, beleuchten. — Man sieht hieraus, daß es als Wurzellaut sehr gut gebraucht werden koͤnne, um die isolirte, durch sich selbst umschraͤnkte, und aus der Masse der uͤbrigen Dinge herausgehobne Persoͤnlichkeit, oder Selbstgefuͤhl zu bezeichnen, welches wir durch

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/97>, abgerufen am 12.05.2024.