Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
Das Wort bin im Deutschen, wodurch wir unser eigentliches Selbstgefühl, unsre Jchheit bezeichnen, hat nicht die mindeste Aehnlichkeit mit seyn, wodurch wir nicht sowohl das wirkliche seyn, als vielmehr die bloße Jdee des Seyns, flach und allgemein benennen. Eben so ist auch bin von ist unterschieden, worunter wir uns das Daseyn eines dritten Wesens denken, das wir nicht wie uns selber, oder wie eine Person, zu der wir reden, wirklich anschauend erkennen, sondern es uns nur in unsrem Jdeenkreise vorstellen. bin und bist bezeichnet das unwillkürlich empfindsame, oder anschaulich erkannte Daseyn, ist hingegen das durch Anstrengung der Denkkraft erkannte Daseyn eines Wesens. Jch kann daher nie sagen: ich ist, weil ich mein eigenes Daseyn nicht anders als unwillkührlich empfinden und anschaulich erkennen kann -- eben so wenig kann ich sagen: du ist, weil ich von einer Person, die ich anrede, auch unmöglich eine andre, als eine anschauende Erkenntniß haben kann. Woher nun aber der erstaunliche Unterschied zwischen bin, ist, war, gewesen und seyn, da
Das Wort bin im Deutschen, wodurch wir unser eigentliches Selbstgefuͤhl, unsre Jchheit bezeichnen, hat nicht die mindeste Aehnlichkeit mit seyn, wodurch wir nicht sowohl das wirkliche seyn, als vielmehr die bloße Jdee des Seyns, flach und allgemein benennen. Eben so ist auch bin von ist unterschieden, worunter wir uns das Daseyn eines dritten Wesens denken, das wir nicht wie uns selber, oder wie eine Person, zu der wir reden, wirklich anschauend erkennen, sondern es uns nur in unsrem Jdeenkreise vorstellen. bin und bist bezeichnet das unwillkuͤrlich empfindsame, oder anschaulich erkannte Daseyn, ist hingegen das durch Anstrengung der Denkkraft erkannte Daseyn eines Wesens. Jch kann daher nie sagen: ich ist, weil ich mein eigenes Daseyn nicht anders als unwillkuͤhrlich empfinden und anschaulich erkennen kann — eben so wenig kann ich sagen: du ist, weil ich von einer Person, die ich anrede, auch unmoͤglich eine andre, als eine anschauende Erkenntniß haben kann. Woher nun aber der erstaunliche Unterschied zwischen bin, ist, war, gewesen und seyn, da <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0096" n="96"/><lb/> genheit wird mit einem ganz andern Worte, als die Gegenwart, und die erste Person der gegenwaͤrtigen Zeit wiederum mit einem andern Worte, als die zweite oder dritte Person, u.s.w. bezeichnet. </p> <p>Das Wort <hi rendition="#b">bin</hi> im Deutschen, wodurch wir unser eigentliches Selbstgefuͤhl, unsre Jchheit bezeichnen, hat nicht die mindeste Aehnlichkeit mit <hi rendition="#b">seyn,</hi> wodurch wir nicht sowohl das <hi rendition="#b">wirkliche seyn,</hi> als vielmehr die bloße Jdee des Seyns, flach und allgemein benennen. </p> <p>Eben so ist auch <hi rendition="#b">bin</hi> von <hi rendition="#b">ist</hi> unterschieden, worunter wir uns das Daseyn eines dritten Wesens denken, das wir nicht wie uns selber, oder wie eine Person, zu der wir reden, wirklich <hi rendition="#b">anschauend</hi> erkennen, sondern es uns nur in unsrem Jdeenkreise vorstellen. </p> <p><hi rendition="#b">bin</hi> und <hi rendition="#b">bist</hi> bezeichnet das unwillkuͤrlich <hi rendition="#b">empfindsame,</hi> oder <hi rendition="#b">anschaulich erkannte</hi> Daseyn, ist hingegen das durch Anstrengung der Denkkraft erkannte Daseyn eines Wesens. </p> <p>Jch kann daher nie sagen: <hi rendition="#b">ich ist,</hi> weil ich mein eigenes Daseyn nicht anders als unwillkuͤhrlich empfinden und anschaulich erkennen kann — eben so wenig kann ich sagen: <hi rendition="#b"><choice><corr>du ist,</corr><sic>das ist</sic></choice></hi> weil ich von einer Person, die ich anrede, auch unmoͤglich eine andre, als eine anschauende Erkenntniß haben kann. </p> <p>Woher nun aber der erstaunliche Unterschied zwischen <hi rendition="#b">bin, ist, war, gewesen</hi> und <hi rendition="#b">seyn,</hi> da<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0096]
genheit wird mit einem ganz andern Worte, als die Gegenwart, und die erste Person der gegenwaͤrtigen Zeit wiederum mit einem andern Worte, als die zweite oder dritte Person, u.s.w. bezeichnet.
Das Wort bin im Deutschen, wodurch wir unser eigentliches Selbstgefuͤhl, unsre Jchheit bezeichnen, hat nicht die mindeste Aehnlichkeit mit seyn, wodurch wir nicht sowohl das wirkliche seyn, als vielmehr die bloße Jdee des Seyns, flach und allgemein benennen.
Eben so ist auch bin von ist unterschieden, worunter wir uns das Daseyn eines dritten Wesens denken, das wir nicht wie uns selber, oder wie eine Person, zu der wir reden, wirklich anschauend erkennen, sondern es uns nur in unsrem Jdeenkreise vorstellen.
bin und bist bezeichnet das unwillkuͤrlich empfindsame, oder anschaulich erkannte Daseyn, ist hingegen das durch Anstrengung der Denkkraft erkannte Daseyn eines Wesens.
Jch kann daher nie sagen: ich ist, weil ich mein eigenes Daseyn nicht anders als unwillkuͤhrlich empfinden und anschaulich erkennen kann — eben so wenig kann ich sagen: du ist, weil ich von einer Person, die ich anrede, auch unmoͤglich eine andre, als eine anschauende Erkenntniß haben kann.
Woher nun aber der erstaunliche Unterschied zwischen bin, ist, war, gewesen und seyn, da
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| Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/96>, abgerufen am 12.05.2024. |
