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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

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von seinen gelehrten Freunden zu leihen pflegte. Der fleißige Mann nutzte jedes Stündchen zu jenen Auszügen, und bei seinem Tode fanden sich einige Dutzende Bände, die mit Auszügen aus den besten Deutschen Autoren angefüllt waren. Sulzers und Bonnets Schriften über die Natur machten vornehmlich tiefe Eindrücke auf Schacks Seele, er verschlang jedes Wort darin, und wünschte nichts mehr, als dereinst einmahl so vortreflich, wie diese Männer, schreiben zu können. Er ahmte ihre Sprachausdrücke in seinen Deutschen Ausarbeitungen nach, und konnte es durchaus nicht leiden, wenn sie ihm von seinem Vater, weil sie wahrscheinlich an der unrechten Stelle angebracht waren, mit rother Dinte durchstrichen wurden.

Ueberhaupt waren die Stunden, in welchen sein Vater seine Exercitien corrigirte, die peinvollesten seines Lebens. Es drang ihm durch die Seele, wenn die Geburten seines Verstandes mit rother Dinte so unbarmherzig durchstrichen wurden. Sein Herz pochte bei jedem Federstriche seines Vaters, und er knirschte oft heimlich mit den Zähnen, wenn es sein Vater, wie er glaubte, zu arg machte; unbeschreiblich war hingegen seine Freude, wenn er ein Perge! bekam. Gab es ihm sein Vater nicht, so setzte er es oft selbst unter seine Ausarbeitungen, oder schrieb die Worte darunter: ut aliquid dixisse videatur, weil er meinte, daß sein Vater nur oft aus übeler Laune corrigirt hätte.



von seinen gelehrten Freunden zu leihen pflegte. Der fleißige Mann nutzte jedes Stuͤndchen zu jenen Auszuͤgen, und bei seinem Tode fanden sich einige Dutzende Baͤnde, die mit Auszuͤgen aus den besten Deutschen Autoren angefuͤllt waren. Sulzers und Bonnets Schriften uͤber die Natur machten vornehmlich tiefe Eindruͤcke auf Schacks Seele, er verschlang jedes Wort darin, und wuͤnschte nichts mehr, als dereinst einmahl so vortreflich, wie diese Maͤnner, schreiben zu koͤnnen. Er ahmte ihre Sprachausdruͤcke in seinen Deutschen Ausarbeitungen nach, und konnte es durchaus nicht leiden, wenn sie ihm von seinem Vater, weil sie wahrscheinlich an der unrechten Stelle angebracht waren, mit rother Dinte durchstrichen wurden.

Ueberhaupt waren die Stunden, in welchen sein Vater seine Exercitien corrigirte, die peinvollesten seines Lebens. Es drang ihm durch die Seele, wenn die Geburten seines Verstandes mit rother Dinte so unbarmherzig durchstrichen wurden. Sein Herz pochte bei jedem Federstriche seines Vaters, und er knirschte oft heimlich mit den Zaͤhnen, wenn es sein Vater, wie er glaubte, zu arg machte; unbeschreiblich war hingegen seine Freude, wenn er ein Perge! bekam. Gab es ihm sein Vater nicht, so setzte er es oft selbst unter seine Ausarbeitungen, oder schrieb die Worte darunter: ut aliquid dixisse videatur, weil er meinte, daß sein Vater nur oft aus uͤbeler Laune corrigirt haͤtte.


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[72/0072] von seinen gelehrten Freunden zu leihen pflegte. Der fleißige Mann nutzte jedes Stuͤndchen zu jenen Auszuͤgen, und bei seinem Tode fanden sich einige Dutzende Baͤnde, die mit Auszuͤgen aus den besten Deutschen Autoren angefuͤllt waren. Sulzers und Bonnets Schriften uͤber die Natur machten vornehmlich tiefe Eindruͤcke auf Schacks Seele, er verschlang jedes Wort darin, und wuͤnschte nichts mehr, als dereinst einmahl so vortreflich, wie diese Maͤnner, schreiben zu koͤnnen. Er ahmte ihre Sprachausdruͤcke in seinen Deutschen Ausarbeitungen nach, und konnte es durchaus nicht leiden, wenn sie ihm von seinem Vater, weil sie wahrscheinlich an der unrechten Stelle angebracht waren, mit rother Dinte durchstrichen wurden. Ueberhaupt waren die Stunden, in welchen sein Vater seine Exercitien corrigirte, die peinvollesten seines Lebens. Es drang ihm durch die Seele, wenn die Geburten seines Verstandes mit rother Dinte so unbarmherzig durchstrichen wurden. Sein Herz pochte bei jedem Federstriche seines Vaters, und er knirschte oft heimlich mit den Zaͤhnen, wenn es sein Vater, wie er glaubte, zu arg machte; unbeschreiblich war hingegen seine Freude, wenn er ein Perge! bekam. Gab es ihm sein Vater nicht, so setzte er es oft selbst unter seine Ausarbeitungen, oder schrieb die Worte darunter: ut aliquid dixisse videatur, weil er meinte, daß sein Vater nur oft aus uͤbeler Laune corrigirt haͤtte.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/72>, abgerufen am 13.05.2024.