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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

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Schack hatte von Jugend auf eine unersättliche Begierde zum Lesen, und diese seine Lesewuth, um mich so auszudrücken, fiel zuerst auf die Geschichten des alten Testaments, welche man in der That sorgfältiger vor den Händen junger Leute verwahren sollte. Es ist unausbleiblich, daß nicht dadurch mancherlei unreife und unanständige Jdeen in die Seele junger Kinder gebracht werden, und daß jene Geschichten ihre Neugierde nicht auf eine gefährliche Art reitzen sollten. Jch spreche hier vornehmlich von denjenigen Histörchen des alten Testaments, welche die Schamhaftigkeit beleidigen, und am liebsten von jungen Leuten gelesen werden. Schack verstand den eigentlichen Sinn der Geschichte des betrunkenen Lots, der Thamar und der Reinigungsgesetze der Juden zwar nicht; aber er war äußerst neugierig dahinter zu kommen, und es durchkreutzten seine Seele hunderterlei alberne Vorstellungen, welcher Sinn dahinter stecken möchte. Seine Eltern wagte er nicht zu fragen, weil er es für unanständig hielt; aber er verzweifelte doch nie irgend auf eine Art einmahl dahinter zu kommen. Er hatte von ohngefähr gehört, daß sein Vater in seiner Bibliothek ein ganz besonderes Buch verborgen habe, worin allerlei Misgeburten abgemahlt, und Regeln für angehende Hebammen enthalten wären. Nichts wünschte er mehr, als dieses Buch zu sehen und zu lesen, weil er darin ohnstreitig



Schack hatte von Jugend auf eine unersaͤttliche Begierde zum Lesen, und diese seine Lesewuth, um mich so auszudruͤcken, fiel zuerst auf die Geschichten des alten Testaments, welche man in der That sorgfaͤltiger vor den Haͤnden junger Leute verwahren sollte. Es ist unausbleiblich, daß nicht dadurch mancherlei unreife und unanstaͤndige Jdeen in die Seele junger Kinder gebracht werden, und daß jene Geschichten ihre Neugierde nicht auf eine gefaͤhrliche Art reitzen sollten. Jch spreche hier vornehmlich von denjenigen Histoͤrchen des alten Testaments, welche die Schamhaftigkeit beleidigen, und am liebsten von jungen Leuten gelesen werden. Schack verstand den eigentlichen Sinn der Geschichte des betrunkenen Lots, der Thamar und der Reinigungsgesetze der Juden zwar nicht; aber er war aͤußerst neugierig dahinter zu kommen, und es durchkreutzten seine Seele hunderterlei alberne Vorstellungen, welcher Sinn dahinter stecken moͤchte. Seine Eltern wagte er nicht zu fragen, weil er es fuͤr unanstaͤndig hielt; aber er verzweifelte doch nie irgend auf eine Art einmahl dahinter zu kommen. Er hatte von ohngefaͤhr gehoͤrt, daß sein Vater in seiner Bibliothek ein ganz besonderes Buch verborgen habe, worin allerlei Misgeburten abgemahlt, und Regeln fuͤr angehende Hebammen enthalten waͤren. Nichts wuͤnschte er mehr, als dieses Buch zu sehen und zu lesen, weil er darin ohnstreitig

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[73/0073] Schack hatte von Jugend auf eine unersaͤttliche Begierde zum Lesen, und diese seine Lesewuth, um mich so auszudruͤcken, fiel zuerst auf die Geschichten des alten Testaments, welche man in der That sorgfaͤltiger vor den Haͤnden junger Leute verwahren sollte. Es ist unausbleiblich, daß nicht dadurch mancherlei unreife und unanstaͤndige Jdeen in die Seele junger Kinder gebracht werden, und daß jene Geschichten ihre Neugierde nicht auf eine gefaͤhrliche Art reitzen sollten. Jch spreche hier vornehmlich von denjenigen Histoͤrchen des alten Testaments, welche die Schamhaftigkeit beleidigen, und am liebsten von jungen Leuten gelesen werden. Schack verstand den eigentlichen Sinn der Geschichte des betrunkenen Lots, der Thamar und der Reinigungsgesetze der Juden zwar nicht; aber er war aͤußerst neugierig dahinter zu kommen, und es durchkreutzten seine Seele hunderterlei alberne Vorstellungen, welcher Sinn dahinter stecken moͤchte. Seine Eltern wagte er nicht zu fragen, weil er es fuͤr unanstaͤndig hielt; aber er verzweifelte doch nie irgend auf eine Art einmahl dahinter zu kommen. Er hatte von ohngefaͤhr gehoͤrt, daß sein Vater in seiner Bibliothek ein ganz besonderes Buch verborgen habe, worin allerlei Misgeburten abgemahlt, und Regeln fuͤr angehende Hebammen enthalten waͤren. Nichts wuͤnschte er mehr, als dieses Buch zu sehen und zu lesen, weil er darin ohnstreitig

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/73>, abgerufen am 24.11.2024.