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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

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Kindheit vorzüglich in pädagogische Rücksicht: "zum musikalischen Talent, Leichtigkeit von Tönen afficirt zu werden, und sie in ihrer Verbindung zu fassen, ist vielleicht schon der Keim in den ersten Tagen der Kindheit gelegt, u.s.w.; vielleicht drückten sich die ersten Töne den zarten Fibern des Gehirns zu mächtig ein, ruhten, wie ein feiner Staub, auf der Maschine, bis sie von erschütterter Thätigkeit angestoßen, sich mit dem heiligen Denkmark mischten, und sich unter die übrigen Jdeen gesellten. Jst die Seele nur im allerfeinsten Verstande materiel, glaubt der Verfasser, so ließe sich der Traum schon hören, und wenigstens so viel daraus abziehen, daß die ersten Eindrücke, welche die Seele durch irgend einen Sinn auffaßt, sehr mächtig seyn müssen, u.s.w."

Allein der V. scheint hier wohl zu weit zu gehen, und der Macht der ersten Eindrücke zu viel zuzuschreiben, indem er fast das ganze künftige Eigenthümliche des Genies auf Rechnung derselben schreibt. Nach dieser Voraussetzung wäre es denn freilich möglich, vermittelst der ersten Eindrücke, die man mit Fleiß zu veranstalten suchte, Künstler und Genies von jeder Art hervorzubringen. -- Aber so läßt der Geist der Menschen sich nicht von Menschen schaffen: er arbeitet sich selbst durch alle Hindernisse, und auch durch die Gewalt der ersten Eindrücke mit seiner angebohren eigenthümlichen Kraft hindurch. Die Grenzen der Pädagogik er-


Kindheit vorzuͤglich in paͤdagogische Ruͤcksicht: »zum musikalischen Talent, Leichtigkeit von Toͤnen afficirt zu werden, und sie in ihrer Verbindung zu fassen, ist vielleicht schon der Keim in den ersten Tagen der Kindheit gelegt, u.s.w.; vielleicht druͤckten sich die ersten Toͤne den zarten Fibern des Gehirns zu maͤchtig ein, ruhten, wie ein feiner Staub, auf der Maschine, bis sie von erschuͤtterter Thaͤtigkeit angestoßen, sich mit dem heiligen Denkmark mischten, und sich unter die uͤbrigen Jdeen gesellten. Jst die Seele nur im allerfeinsten Verstande materiel, glaubt der Verfasser, so ließe sich der Traum schon hoͤren, und wenigstens so viel daraus abziehen, daß die ersten Eindruͤcke, welche die Seele durch irgend einen Sinn auffaßt, sehr maͤchtig seyn muͤssen, u.s.w.«

Allein der V. scheint hier wohl zu weit zu gehen, und der Macht der ersten Eindruͤcke zu viel zuzuschreiben, indem er fast das ganze kuͤnftige Eigenthuͤmliche des Genies auf Rechnung derselben schreibt. Nach dieser Voraussetzung waͤre es denn freilich moͤglich, vermittelst der ersten Eindruͤcke, die man mit Fleiß zu veranstalten suchte, Kuͤnstler und Genies von jeder Art hervorzubringen. — Aber so laͤßt der Geist der Menschen sich nicht von Menschen schaffen: er arbeitet sich selbst durch alle Hindernisse, und auch durch die Gewalt der ersten Eindruͤcke mit seiner angebohren eigenthuͤmlichen Kraft hindurch. Die Grenzen der Paͤdagogik er-

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[14/0014] Kindheit vorzuͤglich in paͤdagogische Ruͤcksicht: »zum musikalischen Talent, Leichtigkeit von Toͤnen afficirt zu werden, und sie in ihrer Verbindung zu fassen, ist vielleicht schon der Keim in den ersten Tagen der Kindheit gelegt, u.s.w.; vielleicht druͤckten sich die ersten Toͤne den zarten Fibern des Gehirns zu maͤchtig ein, ruhten, wie ein feiner Staub, auf der Maschine, bis sie von erschuͤtterter Thaͤtigkeit angestoßen, sich mit dem heiligen Denkmark mischten, und sich unter die uͤbrigen Jdeen gesellten. Jst die Seele nur im allerfeinsten Verstande materiel, glaubt der Verfasser, so ließe sich der Traum schon hoͤren, und wenigstens so viel daraus abziehen, daß die ersten Eindruͤcke, welche die Seele durch irgend einen Sinn auffaßt, sehr maͤchtig seyn muͤssen, u.s.w.« Allein der V. scheint hier wohl zu weit zu gehen, und der Macht der ersten Eindruͤcke zu viel zuzuschreiben, indem er fast das ganze kuͤnftige Eigenthuͤmliche des Genies auf Rechnung derselben schreibt. Nach dieser Voraussetzung waͤre es denn freilich moͤglich, vermittelst der ersten Eindruͤcke, die man mit Fleiß zu veranstalten suchte, Kuͤnstler und Genies von jeder Art hervorzubringen. — Aber so laͤßt der Geist der Menschen sich nicht von Menschen schaffen: er arbeitet sich selbst durch alle Hindernisse, und auch durch die Gewalt der ersten Eindruͤcke mit seiner angebohren eigenthuͤmlichen Kraft hindurch. Die Grenzen der Paͤdagogik er-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/14>, abgerufen am 28.04.2024.