Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


einen zufriedenen Blick zuwarf, und andern seine Artigkeit rühmte. Der erste Gedanke, wenn er des Morgens erwachte, war sie, und er eilte, so viel er konnte, ihr immer das kindliche Opfer seiner Liebe zuerst mit einem herzlichen Kusse zu bringen. Er glaubte dazu ein größeres Recht als sein Vater zu haben, und es ist ihm noch sehr erinnerlich, daß er es nie ohne Unwillen und Eifersucht ansehen konnte, wenn sein Vater seiner Gattin einen Kuß gab, oder mit ihr zu scherzen anfing. --

Rousseau, dieser große Kenner des menschlichen Herzens, urtheilt sehr richtig, wenn er in seinem Emil 1. Band. 1. B. Not. 1.) den Müttern wegen ihres größern und natürlichern Einflusses auf das Herz ihrer Kinder, auch ein größeres Recht zu ihrer ersten Bildung und Erziehung, als den Vätern einräumt, welche nach seiner Meinung durch ihre Ehrbegierde, ihren Geitz, ihre Tyrannei, ihre falschangewandte Vorsichtigkeit, ihr nachlässiges Wesen, und ihre harte Unempfindlichkeit den Kindern oft viel schädlicher, als die Mutter durch ihre blinde Zärtlichkeit werden. --


Eine andere Begebenheit, welche sich mit unauslöschbaren Zügen in Schacks Seele aus den frühesten Jahren der Kindheit abgedrückt hat, ist diese. Als seine Eltern und Geschwister eines Tages ru-


einen zufriedenen Blick zuwarf, und andern seine Artigkeit ruͤhmte. Der erste Gedanke, wenn er des Morgens erwachte, war sie, und er eilte, so viel er konnte, ihr immer das kindliche Opfer seiner Liebe zuerst mit einem herzlichen Kusse zu bringen. Er glaubte dazu ein groͤßeres Recht als sein Vater zu haben, und es ist ihm noch sehr erinnerlich, daß er es nie ohne Unwillen und Eifersucht ansehen konnte, wenn sein Vater seiner Gattin einen Kuß gab, oder mit ihr zu scherzen anfing. —

Rousseau, dieser große Kenner des menschlichen Herzens, urtheilt sehr richtig, wenn er in seinem Emil 1. Band. 1. B. Not. 1.) den Muͤttern wegen ihres groͤßern und natuͤrlichern Einflusses auf das Herz ihrer Kinder, auch ein groͤßeres Recht zu ihrer ersten Bildung und Erziehung, als den Vaͤtern einraͤumt, welche nach seiner Meinung durch ihre Ehrbegierde, ihren Geitz, ihre Tyrannei, ihre falschangewandte Vorsichtigkeit, ihr nachlaͤssiges Wesen, und ihre harte Unempfindlichkeit den Kindern oft viel schaͤdlicher, als die Mutter durch ihre blinde Zaͤrtlichkeit werden. —


Eine andere Begebenheit, welche sich mit unausloͤschbaren Zuͤgen in Schacks Seele aus den fruͤhesten Jahren der Kindheit abgedruͤckt hat, ist diese. Als seine Eltern und Geschwister eines Tages ru-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0111" n="111"/><lb/>
einen zufriedenen Blick zuwarf, und andern seine Artigkeit ru&#x0364;hmte. Der erste                   Gedanke, wenn er des Morgens erwachte, war sie, und er eilte, so viel er konnte,                   ihr immer das kindliche Opfer seiner Liebe zuerst mit einem herzlichen Kusse zu                   bringen. Er glaubte dazu ein gro&#x0364;ßeres Recht als sein Vater zu haben, und es ist                   ihm noch sehr erinnerlich, daß er es nie ohne Unwillen und Eifersucht ansehen                   konnte, wenn sein Vater seiner Gattin einen Kuß gab, oder mit ihr zu scherzen                   anfing. &#x2014; </p>
              <p>Rousseau, dieser große Kenner des menschlichen Herzens, urtheilt sehr richtig,                   wenn er in seinem Emil 1. Band. 1. B. Not. 1.) den Mu&#x0364;ttern wegen ihres gro&#x0364;ßern und                   natu&#x0364;rlichern Einflusses auf das Herz ihrer Kinder, auch ein gro&#x0364;ßeres Recht zu                   ihrer ersten Bildung und Erziehung, als den Va&#x0364;tern einra&#x0364;umt, welche nach seiner                   Meinung durch ihre Ehrbegierde, ihren Geitz, ihre Tyrannei, ihre falschangewandte                   Vorsichtigkeit, ihr nachla&#x0364;ssiges Wesen, und ihre harte Unempfindlichkeit den                   Kindern oft viel scha&#x0364;dlicher, als die Mutter durch ihre blinde Za&#x0364;rtlichkeit                   werden. &#x2014; </p>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
              <p>Eine andere Begebenheit, welche sich mit unauslo&#x0364;schbaren Zu&#x0364;gen                   in Schacks Seele aus den fru&#x0364;hesten Jahren der Kindheit abgedru&#x0364;ckt hat, ist diese.                   Als seine Eltern und Geschwister eines Tages ru-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0111] einen zufriedenen Blick zuwarf, und andern seine Artigkeit ruͤhmte. Der erste Gedanke, wenn er des Morgens erwachte, war sie, und er eilte, so viel er konnte, ihr immer das kindliche Opfer seiner Liebe zuerst mit einem herzlichen Kusse zu bringen. Er glaubte dazu ein groͤßeres Recht als sein Vater zu haben, und es ist ihm noch sehr erinnerlich, daß er es nie ohne Unwillen und Eifersucht ansehen konnte, wenn sein Vater seiner Gattin einen Kuß gab, oder mit ihr zu scherzen anfing. — Rousseau, dieser große Kenner des menschlichen Herzens, urtheilt sehr richtig, wenn er in seinem Emil 1. Band. 1. B. Not. 1.) den Muͤttern wegen ihres groͤßern und natuͤrlichern Einflusses auf das Herz ihrer Kinder, auch ein groͤßeres Recht zu ihrer ersten Bildung und Erziehung, als den Vaͤtern einraͤumt, welche nach seiner Meinung durch ihre Ehrbegierde, ihren Geitz, ihre Tyrannei, ihre falschangewandte Vorsichtigkeit, ihr nachlaͤssiges Wesen, und ihre harte Unempfindlichkeit den Kindern oft viel schaͤdlicher, als die Mutter durch ihre blinde Zaͤrtlichkeit werden. — Eine andere Begebenheit, welche sich mit unausloͤschbaren Zuͤgen in Schacks Seele aus den fruͤhesten Jahren der Kindheit abgedruͤckt hat, ist diese. Als seine Eltern und Geschwister eines Tages ru-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/111
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/111>, abgerufen am 23.11.2024.