Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Durch die Vergleichung einer bekannten Grösse, von deren Grad und Ausdehnung wir uns durch mehrere Erfahrungen überzeugt haben, mit einer oder mehrern unbekannten entsteht das Augenmaas, welches bis zu einer geometrischen Schärfe gebracht werden kann, selbst wenn Gegenstände sich in einer perspektiven Lage gegen einander befinden, und das Auge leicht getäuscht werden kann. Die richtige Beurtheilung der Perspektive erfodert daher das feinste Augenmaas, weil die Vergleichung einer angenommnen bestimmten Größe mit einer unbekannten, die überdem noch durch ihre Entfernung kleiner wird, als sie eigentlich ist, viel schwerer werden muß. -- Vergleichen wir eine Menge solcher durch die Entfernung klein gewordener Gegenstände mit größern neben ihnen oder hinter ihnen stehenden, so müssen diese den Gesichtseindruck auf uns machen, als wenn sie uns viel näher stünden, als sie würklich stehen. Ein Gebürge scheint uns näher zu seyn, als die vor ihm liegenden Dörfer und Bäume; eine grosse Wolke steht nach eben dieser Täuschung niedriger, als die Thurmspitze, und der aufgehende und untergehende Mond erscheint allemal größer, als wenn er hoch am Himmel steht, weil wir ihm, wenn er sich in der Gegend des Horizonts befindet, näher zu stehen glauben, als wenn er sich davon weiter entfernt hat,
Durch die Vergleichung einer bekannten Groͤsse, von deren Grad und Ausdehnung wir uns durch mehrere Erfahrungen uͤberzeugt haben, mit einer oder mehrern unbekannten entsteht das Augenmaas, welches bis zu einer geometrischen Schaͤrfe gebracht werden kann, selbst wenn Gegenstaͤnde sich in einer perspektiven Lage gegen einander befinden, und das Auge leicht getaͤuscht werden kann. Die richtige Beurtheilung der Perspektive erfodert daher das feinste Augenmaas, weil die Vergleichung einer angenommnen bestimmten Groͤße mit einer unbekannten, die uͤberdem noch durch ihre Entfernung kleiner wird, als sie eigentlich ist, viel schwerer werden muß. — Vergleichen wir eine Menge solcher durch die Entfernung klein gewordener Gegenstaͤnde mit groͤßern neben ihnen oder hinter ihnen stehenden, so muͤssen diese den Gesichtseindruck auf uns machen, als wenn sie uns viel naͤher stuͤnden, als sie wuͤrklich stehen. Ein Gebuͤrge scheint uns naͤher zu seyn, als die vor ihm liegenden Doͤrfer und Baͤume; eine grosse Wolke steht nach eben dieser Taͤuschung niedriger, als die Thurmspitze, und der aufgehende und untergehende Mond erscheint allemal groͤßer, als wenn er hoch am Himmel steht, weil wir ihm, wenn er sich in der Gegend des Horizonts befindet, naͤher zu stehen glauben, als wenn er sich davon weiter entfernt hat, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0055" n="55"/><lb/> ten Substanz,</hi> die dunkelsten in dem ganzen Gebiete menschlicher Begriffe. </p> <p>Durch die Vergleichung einer bekannten Groͤsse, von deren Grad und Ausdehnung wir uns durch mehrere Erfahrungen uͤberzeugt haben, mit einer oder mehrern unbekannten entsteht <hi rendition="#b">das Augenmaas,</hi> welches bis zu einer geometrischen Schaͤrfe gebracht werden kann, selbst wenn Gegenstaͤnde sich in einer perspektiven Lage <hi rendition="#b">gegen einander</hi> befinden, und das Auge leicht getaͤuscht werden kann. Die richtige Beurtheilung der Perspektive erfodert daher das <hi rendition="#b">feinste</hi> Augenmaas, weil die <hi rendition="#b">Vergleichung</hi> einer angenommnen bestimmten Groͤße mit einer <hi rendition="#b">unbekannten,</hi> die uͤberdem noch durch ihre Entfernung kleiner wird, als sie eigentlich ist, viel schwerer werden muß. — Vergleichen wir eine Menge solcher durch die Entfernung klein gewordener Gegenstaͤnde mit groͤßern neben ihnen oder hinter ihnen stehenden, so muͤssen diese den Gesichtseindruck auf uns machen, als wenn sie uns <hi rendition="#b">viel naͤher</hi> stuͤnden, als sie wuͤrklich stehen. Ein Gebuͤrge scheint uns <hi rendition="#b">naͤher</hi> zu seyn, als die vor ihm liegenden Doͤrfer und Baͤume; eine grosse Wolke steht nach eben dieser Taͤuschung <hi rendition="#b">niedriger,</hi> als die Thurmspitze, und der aufgehende und untergehende Mond erscheint allemal groͤßer, als wenn er hoch am Himmel steht, weil wir ihm, wenn er sich in der Gegend des Horizonts befindet, naͤher zu stehen glauben, als wenn er sich davon weiter entfernt hat,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0055]
ten Substanz, die dunkelsten in dem ganzen Gebiete menschlicher Begriffe.
Durch die Vergleichung einer bekannten Groͤsse, von deren Grad und Ausdehnung wir uns durch mehrere Erfahrungen uͤberzeugt haben, mit einer oder mehrern unbekannten entsteht das Augenmaas, welches bis zu einer geometrischen Schaͤrfe gebracht werden kann, selbst wenn Gegenstaͤnde sich in einer perspektiven Lage gegen einander befinden, und das Auge leicht getaͤuscht werden kann. Die richtige Beurtheilung der Perspektive erfodert daher das feinste Augenmaas, weil die Vergleichung einer angenommnen bestimmten Groͤße mit einer unbekannten, die uͤberdem noch durch ihre Entfernung kleiner wird, als sie eigentlich ist, viel schwerer werden muß. — Vergleichen wir eine Menge solcher durch die Entfernung klein gewordener Gegenstaͤnde mit groͤßern neben ihnen oder hinter ihnen stehenden, so muͤssen diese den Gesichtseindruck auf uns machen, als wenn sie uns viel naͤher stuͤnden, als sie wuͤrklich stehen. Ein Gebuͤrge scheint uns naͤher zu seyn, als die vor ihm liegenden Doͤrfer und Baͤume; eine grosse Wolke steht nach eben dieser Taͤuschung niedriger, als die Thurmspitze, und der aufgehende und untergehende Mond erscheint allemal groͤßer, als wenn er hoch am Himmel steht, weil wir ihm, wenn er sich in der Gegend des Horizonts befindet, naͤher zu stehen glauben, als wenn er sich davon weiter entfernt hat,
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