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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Rückkehr urtheilen würde, und wie nothwendig meine Reise wäre; -- aber alles umsonst! Fast unwillkührlich wandte ich mein Pferd und jagte so geschwind es laufen konnte, nach Diepholtz zurück. Kaum war ich wieder in die Stadt geritten, als ich es recht lebhaft fühlte, wie närrisch ich gehandelt hatte. -- Gern hätte ich von neuem meine Reise angetreten, aber mein Pferd schwitzte genug für heute. -- Mit einem rechten Verlegenheitsgesichte ritt ich vor dem Hause meiner Kranken vorbei und wußte gar nicht, was ich machen sollte, als ich sie am Fenster stehen und mich freundlich grüßen sahe. Es war mir nicht möglich, eine andere Ursach meiner Rückkehr zu erdichten, -- und meiner Patientin wars nicht möglich, sich des Lachens zu enthalten.

Nachdem ich nochmals alle Umstände der Krankheit genau erwogen und mich von dem Ungrunde meiner Bangigkeit überzeugt hatte, ritt ich am folgendem Morgen von neuem ab. Zwar war ich jetzt in soweit Herr über mich, daß ich nicht wieder linksum machte; aber die quälenden Vorstellungen vom nahen Tode meiner Kranken, die konnte nichts unterdrücken. Umsonst bemühten sich meine Göttingischen Freunde, mich zu zerstreuen, und umsonst besuchte ich die Oerter wieder, wo ich als Kind und als Jüngling soviel Freude genossen hatte. -- Nichts, nichts wollte mir behagen. Darum hielt ich mich nur zwei Tage in Göttingen auf, und mach-


Ruͤckkehr urtheilen wuͤrde, und wie nothwendig meine Reise waͤre; — aber alles umsonst! Fast unwillkuͤhrlich wandte ich mein Pferd und jagte so geschwind es laufen konnte, nach Diepholtz zuruͤck. Kaum war ich wieder in die Stadt geritten, als ich es recht lebhaft fuͤhlte, wie naͤrrisch ich gehandelt hatte. — Gern haͤtte ich von neuem meine Reise angetreten, aber mein Pferd schwitzte genug fuͤr heute. — Mit einem rechten Verlegenheitsgesichte ritt ich vor dem Hause meiner Kranken vorbei und wußte gar nicht, was ich machen sollte, als ich sie am Fenster stehen und mich freundlich gruͤßen sahe. Es war mir nicht moͤglich, eine andere Ursach meiner Ruͤckkehr zu erdichten, — und meiner Patientin wars nicht moͤglich, sich des Lachens zu enthalten.

Nachdem ich nochmals alle Umstaͤnde der Krankheit genau erwogen und mich von dem Ungrunde meiner Bangigkeit uͤberzeugt hatte, ritt ich am folgendem Morgen von neuem ab. Zwar war ich jetzt in soweit Herr uͤber mich, daß ich nicht wieder linksum machte; aber die quaͤlenden Vorstellungen vom nahen Tode meiner Kranken, die konnte nichts unterdruͤcken. Umsonst bemuͤhten sich meine Goͤttingischen Freunde, mich zu zerstreuen, und umsonst besuchte ich die Oerter wieder, wo ich als Kind und als Juͤngling soviel Freude genossen hatte. — Nichts, nichts wollte mir behagen. Darum hielt ich mich nur zwei Tage in Goͤttingen auf, und mach-

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[83/0083] Ruͤckkehr urtheilen wuͤrde, und wie nothwendig meine Reise waͤre; — aber alles umsonst! Fast unwillkuͤhrlich wandte ich mein Pferd und jagte so geschwind es laufen konnte, nach Diepholtz zuruͤck. Kaum war ich wieder in die Stadt geritten, als ich es recht lebhaft fuͤhlte, wie naͤrrisch ich gehandelt hatte. — Gern haͤtte ich von neuem meine Reise angetreten, aber mein Pferd schwitzte genug fuͤr heute. — Mit einem rechten Verlegenheitsgesichte ritt ich vor dem Hause meiner Kranken vorbei und wußte gar nicht, was ich machen sollte, als ich sie am Fenster stehen und mich freundlich gruͤßen sahe. Es war mir nicht moͤglich, eine andere Ursach meiner Ruͤckkehr zu erdichten, — und meiner Patientin wars nicht moͤglich, sich des Lachens zu enthalten. Nachdem ich nochmals alle Umstaͤnde der Krankheit genau erwogen und mich von dem Ungrunde meiner Bangigkeit uͤberzeugt hatte, ritt ich am folgendem Morgen von neuem ab. Zwar war ich jetzt in soweit Herr uͤber mich, daß ich nicht wieder linksum machte; aber die quaͤlenden Vorstellungen vom nahen Tode meiner Kranken, die konnte nichts unterdruͤcken. Umsonst bemuͤhten sich meine Goͤttingischen Freunde, mich zu zerstreuen, und umsonst besuchte ich die Oerter wieder, wo ich als Kind und als Juͤngling soviel Freude genossen hatte. — Nichts, nichts wollte mir behagen. Darum hielt ich mich nur zwei Tage in Goͤttingen auf, und mach-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/83>, abgerufen am 25.11.2024.