Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Aber dieß scheint mir doch bemerkenswürdig. Da der Ausbruch jedes Triebes und jeder Gesinnung stärker sich auszeichnete, so hätte dieß bei den guten eben sowohl Statt finden müssen. Lagen also in meiner Seele eben soviel gute als böse Triebe schlafend, so mußten sich beide unter diesen Umständen gleich häufig entdecken. Das war aber gar nicht der Fall. Es ist wahr, zuweilen überströmte ein gutes Gefühl die Seele eben so gänzlich, als ein böses; aber weder hatte das gute den Grad von Edelmuth, welchen das böse von Niederträchtigkeit; noch hatte ich so oft Ursache, mich des hellen Gedankens der Tugend zu freuen. -- Jst denn nun meine Seele in gleichem Grade gut und böse? -- Und woher rührt denn das merkliche Uebergewicht der Triebe, die ich seit so vielen Jahren, vielleicht vom Anfange meines vernünftigen Denkens an, nie ohne Abscheu und heftiges Gegenstreben der ganzen Seele gegen sie in mir bemerkt habe?*) -- Aber Gottlob! Unterschied ist zwischen Triebe haben und Triebe nähren. *) Dieß geschieht oft bei vorzüglicher Schwachheit des Körpers; und viele treue Selbstbeobachter werden vermuthlich dieselbe Bemerkung gemacht haben. -- Vielleicht kann man dieß so erklären: das Blut und die Säfte des groben Körpers tobten umher, wirkten durch Bewegung, Stoß, Druck oder Berührung auf den feinen Nervengeist, und weckten dadurch die verschiedensten Jdeen. Die guten, als solche, an die der Geist ohnehin schon gewohnt war, fielen durch nichts auf; destomehr aber zogen die seltner gereizten bösen die Aufmerksamkeit der Seele durch ihre Neuheit auf sich; und da die Seele ihrer Aufmerksamkeit ohnehin nicht mächtig war, so wurden diese durch den stärkern Reiz so hell und wirkend. Vielleicht wäre bei bösen Menschen das Gegentheil erfolgt; vielleicht läßt sich ein Theil der beruffnen Bekehrungsgeschichten auf dem Todbette mit aus diesem Phänomen erklären. Wenigstens wird man mir es, wie ich hoffe, vergeben, wenn ich ein psychologisches Problem lieber aus der Philosophie als aus der Theologie zu erklären suche, obgleich es viele Erklärungen von entgegengesetzter Art von theologisirenden Philosophen, besonders aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, giebt. -- Ein analoger Fall ist bei den figirten Jdeen; nehmlich wie bei einer grossen Schwäche des Gehirns eine sehr unbedeutende Jdee sogar leicht figirt werden kann, so kann bei einer beträchtlichen Unordnung und Unruhe desselben manche schlechte wider Willen sehr lebhaft werden. -- Das im Texte angeführte Gleichniß von kleinen Häufchen Pulver u.s.w. scheint mir für dieß Phänomen ganz unpassend zu seyn. Noch will ich hier bemerken, wie offenbar sich das Gegenstreben der Seele hiebei von den vorgestellten Jdeen so sehr unterscheidet; wie denn auch in Spaldings Fall, dessen in einem der vorigen Hefte gedacht worden, die vorgehaltnen Jdeen von der Einwirkung der Seele sich auch bei dem Selbstbeobachter merklich unterschieden gezeigt haben.
Aber dieß scheint mir doch bemerkenswuͤrdig. Da der Ausbruch jedes Triebes und jeder Gesinnung staͤrker sich auszeichnete, so haͤtte dieß bei den guten eben sowohl Statt finden muͤssen. Lagen also in meiner Seele eben soviel gute als boͤse Triebe schlafend, so mußten sich beide unter diesen Umstaͤnden gleich haͤufig entdecken. Das war aber gar nicht der Fall. Es ist wahr, zuweilen uͤberstroͤmte ein gutes Gefuͤhl die Seele eben so gaͤnzlich, als ein boͤses; aber weder hatte das gute den Grad von Edelmuth, welchen das boͤse von Niedertraͤchtigkeit; noch hatte ich so oft Ursache, mich des hellen Gedankens der Tugend zu freuen. — Jst denn nun meine Seele in gleichem Grade gut und boͤse? — Und woher ruͤhrt denn das merkliche Uebergewicht der Triebe, die ich seit so vielen Jahren, vielleicht vom Anfange meines vernuͤnftigen Denkens an, nie ohne Abscheu und heftiges Gegenstreben der ganzen Seele gegen sie in mir bemerkt habe?*) — Aber Gottlob! Unterschied ist zwischen Triebe haben und Triebe naͤhren. *) Dieß geschieht oft bei vorzuͤglicher Schwachheit des Koͤrpers; und viele treue Selbstbeobachter werden vermuthlich dieselbe Bemerkung gemacht haben. — Vielleicht kann man dieß so erklaͤren: das Blut und die Saͤfte des groben Koͤrpers tobten umher, wirkten durch Bewegung, Stoß, Druck oder Beruͤhrung auf den feinen Nervengeist, und weckten dadurch die verschiedensten Jdeen. Die guten, als solche, an die der Geist ohnehin schon gewohnt war, fielen durch nichts auf; destomehr aber zogen die seltner gereizten boͤsen die Aufmerksamkeit der Seele durch ihre Neuheit auf sich; und da die Seele ihrer Aufmerksamkeit ohnehin nicht maͤchtig war, so wurden diese durch den staͤrkern Reiz so hell und wirkend. Vielleicht waͤre bei boͤsen Menschen das Gegentheil erfolgt; vielleicht laͤßt sich ein Theil der beruffnen Bekehrungsgeschichten auf dem Todbette mit aus diesem Phaͤnomen erklaͤren. Wenigstens wird man mir es, wie ich hoffe, vergeben, wenn ich ein psychologisches Problem lieber aus der Philosophie als aus der Theologie zu erklaͤren suche, obgleich es viele Erklaͤrungen von entgegengesetzter Art von theologisirenden Philosophen, besonders aus der ersten Haͤlfte dieses Jahrhunderts, giebt. — Ein analoger Fall ist bei den figirten Jdeen; nehmlich wie bei einer grossen Schwaͤche des Gehirns eine sehr unbedeutende Jdee sogar leicht figirt werden kann, so kann bei einer betraͤchtlichen Unordnung und Unruhe desselben manche schlechte wider Willen sehr lebhaft werden. — Das im Texte angefuͤhrte Gleichniß von kleinen Haͤufchen Pulver u.s.w. scheint mir fuͤr dieß Phaͤnomen ganz unpassend zu seyn. Noch will ich hier bemerken, wie offenbar sich das Gegenstreben der Seele hiebei von den vorgestellten Jdeen so sehr unterscheidet; wie denn auch in Spaldings Fall, dessen in einem der vorigen Hefte gedacht worden, die vorgehaltnen Jdeen von der Einwirkung der Seele sich auch bei dem Selbstbeobachter merklich unterschieden gezeigt haben.
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Aber dieß scheint mir doch bemerkenswuͤrdig. Da der Ausbruch jedes Triebes und jeder Gesinnung staͤrker sich auszeichnete, so haͤtte dieß bei den guten eben sowohl Statt finden muͤssen.
Lagen also in meiner Seele eben soviel gute als boͤse Triebe schlafend, so mußten sich beide unter diesen Umstaͤnden gleich haͤufig entdecken. Das war aber gar nicht der Fall. Es ist wahr, zuweilen uͤberstroͤmte ein gutes Gefuͤhl die Seele eben so gaͤnzlich, als ein boͤses; aber weder hatte das gute den Grad von Edelmuth, welchen das boͤse von Niedertraͤchtigkeit; noch hatte ich so oft Ursache, mich des hellen Gedankens der Tugend zu freuen. — Jst denn nun meine Seele in gleichem Grade gut und boͤse? — Und woher ruͤhrt denn das merkliche Uebergewicht der Triebe, die ich seit so vielen Jahren, vielleicht vom Anfange meines vernuͤnftigen Denkens an, nie ohne Abscheu und heftiges Gegenstreben der ganzen Seele gegen sie in mir bemerkt habe?*) — Aber Gottlob! Unterschied ist zwischen Triebe haben und Triebe naͤhren.
*) Dieß geschieht oft bei vorzuͤglicher Schwachheit des Koͤrpers; und viele treue Selbstbeobachter werden vermuthlich dieselbe Bemerkung gemacht haben. — Vielleicht kann man dieß so erklaͤren: das Blut und die Saͤfte des groben Koͤrpers tobten umher, wirkten durch Bewegung, Stoß, Druck oder Beruͤhrung auf den feinen Nervengeist, und weckten dadurch die verschiedensten Jdeen. Die guten, als solche, an die der Geist ohnehin schon gewohnt war, fielen durch nichts auf; destomehr aber zogen die seltner gereizten boͤsen die Aufmerksamkeit der Seele durch ihre Neuheit auf sich; und da die Seele ihrer Aufmerksamkeit ohnehin nicht maͤchtig war, so wurden diese durch den staͤrkern Reiz so hell und wirkend. Vielleicht waͤre bei boͤsen Menschen das Gegentheil erfolgt; vielleicht laͤßt sich ein Theil der beruffnen Bekehrungsgeschichten auf dem Todbette mit aus diesem Phaͤnomen erklaͤren. Wenigstens wird man mir es, wie ich hoffe, vergeben, wenn ich ein psychologisches Problem lieber aus der Philosophie als aus der Theologie zu erklaͤren suche, obgleich es viele Erklaͤrungen von entgegengesetzter Art von theologisirenden Philosophen, besonders aus der ersten Haͤlfte dieses Jahrhunderts, giebt. — Ein analoger Fall ist bei den figirten Jdeen; nehmlich wie bei einer grossen Schwaͤche des Gehirns eine sehr unbedeutende Jdee sogar leicht figirt werden kann, so kann bei einer betraͤchtlichen Unordnung und Unruhe desselben manche schlechte wider Willen sehr lebhaft werden. — Das im Texte angefuͤhrte Gleichniß von kleinen Haͤufchen Pulver u.s.w. scheint mir fuͤr dieß Phaͤnomen ganz unpassend zu seyn.
Noch will ich hier bemerken, wie offenbar sich das Gegenstreben der Seele hiebei von den vorgestellten Jdeen so sehr unterscheidet; wie denn auch in Spaldings Fall, dessen in einem der vorigen Hefte gedacht worden, die vorgehaltnen Jdeen von der Einwirkung der Seele sich auch bei dem Selbstbeobachter merklich unterschieden gezeigt haben.
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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