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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Oheim, der Sekretär in Lübeck war, etwa im Jahr 1622 nahm seine Schwermuth so sehr überhand, daß er sogar bei einer Promenade auf dem Walle, wäre er nicht daran verhindert, sich davon gestürzet, oder sonst etwas gefährliches vorgenommen hätte, welches veranlaßte, daß jener mit ihm nach Osnabrück zu seinen Eltern reisete, woselbst seine Krankheit noch eine ziemliche Zeit angehalten, welche ihn denn auch fast zu allen Dingen verdrossen und oft untüchtig machte.

Denn kaum hatte er im Jahr 1624 zu Neuenkloster die Hofmeisterstelle bei zwei adelichen Knaben von Powisch angenommen, als er sie schon wieder nach drei Wochen verließ; während seiner Hofgerichtsbedienung überfiel ihn abermal der Paroxismus und veranlassete sein Dimissionsgesuch; selbst der Vorsatz, wegen seiner Promotion ward durch melancholische Rezidive von Zeit zu Zeit verzögert; von schwermüthigen Gedanken gequälet, verzweifelte er zuweilen an seiner Seeligkeit, war darin einem Kinde gleich, bildete sich ein, er könne nicht sprechen, oder etwas zu Papier bringen, wesfalls, wäre er nicht in solchen Anfällen von seinem Beichtvater und guten Freunden getröstet, die Verzweiflung ihn leicht ganz dahin gerissen haben möchte.

Jn dieser traurigen Situation befand er sich sehr oft, besonders in den letzten Jahren, vielleicht


Oheim, der Sekretaͤr in Luͤbeck war, etwa im Jahr 1622 nahm seine Schwermuth so sehr uͤberhand, daß er sogar bei einer Promenade auf dem Walle, waͤre er nicht daran verhindert, sich davon gestuͤrzet, oder sonst etwas gefaͤhrliches vorgenommen haͤtte, welches veranlaßte, daß jener mit ihm nach Osnabruͤck zu seinen Eltern reisete, woselbst seine Krankheit noch eine ziemliche Zeit angehalten, welche ihn denn auch fast zu allen Dingen verdrossen und oft untuͤchtig machte.

Denn kaum hatte er im Jahr 1624 zu Neuenkloster die Hofmeisterstelle bei zwei adelichen Knaben von Powisch angenommen, als er sie schon wieder nach drei Wochen verließ; waͤhrend seiner Hofgerichtsbedienung uͤberfiel ihn abermal der Paroxismus und veranlassete sein Dimissionsgesuch; selbst der Vorsatz, wegen seiner Promotion ward durch melancholische Rezidive von Zeit zu Zeit verzoͤgert; von schwermuͤthigen Gedanken gequaͤlet, verzweifelte er zuweilen an seiner Seeligkeit, war darin einem Kinde gleich, bildete sich ein, er koͤnne nicht sprechen, oder etwas zu Papier bringen, wesfalls, waͤre er nicht in solchen Anfaͤllen von seinem Beichtvater und guten Freunden getroͤstet, die Verzweiflung ihn leicht ganz dahin gerissen haben moͤchte.

Jn dieser traurigen Situation befand er sich sehr oft, besonders in den letzten Jahren, vielleicht

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[3/0003] Oheim, der Sekretaͤr in Luͤbeck war, etwa im Jahr 1622 nahm seine Schwermuth so sehr uͤberhand, daß er sogar bei einer Promenade auf dem Walle, waͤre er nicht daran verhindert, sich davon gestuͤrzet, oder sonst etwas gefaͤhrliches vorgenommen haͤtte, welches veranlaßte, daß jener mit ihm nach Osnabruͤck zu seinen Eltern reisete, woselbst seine Krankheit noch eine ziemliche Zeit angehalten, welche ihn denn auch fast zu allen Dingen verdrossen und oft untuͤchtig machte. Denn kaum hatte er im Jahr 1624 zu Neuenkloster die Hofmeisterstelle bei zwei adelichen Knaben von Powisch angenommen, als er sie schon wieder nach drei Wochen verließ; waͤhrend seiner Hofgerichtsbedienung uͤberfiel ihn abermal der Paroxismus und veranlassete sein Dimissionsgesuch; selbst der Vorsatz, wegen seiner Promotion ward durch melancholische Rezidive von Zeit zu Zeit verzoͤgert; von schwermuͤthigen Gedanken gequaͤlet, verzweifelte er zuweilen an seiner Seeligkeit, war darin einem Kinde gleich, bildete sich ein, er koͤnne nicht sprechen, oder etwas zu Papier bringen, wesfalls, waͤre er nicht in solchen Anfaͤllen von seinem Beichtvater und guten Freunden getroͤstet, die Verzweiflung ihn leicht ganz dahin gerissen haben moͤchte. Jn dieser traurigen Situation befand er sich sehr oft, besonders in den letzten Jahren, vielleicht

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/3>, abgerufen am 24.04.2024.