Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Zuweilen stand er vom Arbeiten auf, sah ob wir schliefen, legte sich ins Fenster, sang ein Liedchen, wobei sich äußerte, daß er gegen ein wohlgezogenes schönes Mädchen in seinem bisherigen Aufenthaltsort lebhafte Zuneigung hatte, auch wurde aufsteigender Liebestrieb, mehr als bloß platonisch, an ihm wahrgenommen. Erst bei Tagesanbruch legte er sich wieder nieder und schlief ein paar Stunden. Früh um sieben Uhr kehrte sein Begleiter zurück, mit dem er die unterwegens gemachten Auslagen berechnete und unter meinem mitgebenden Brief vollständig ordentlich einige Zeilen hinzufügte. Beim Anzug hatte er gegen die Mutter wieder verschiedenes von den vorhin erwähnten vorgefallenen Schulhändeln mit Heftigkeit erzählt. Mit mir war er zurückhaltend im Sprechen. Nach dem Mittagsessen legte er sich aufs Bett; anstatt aber zu schlafen, wollte er gegen das Dienstmädchen Jünglingstriebe ausüben und sprach Zoten; -- gänzlich gegen seine sonstige Art sich zu betragen.
Zuweilen stand er vom Arbeiten auf, sah ob wir schliefen, legte sich ins Fenster, sang ein Liedchen, wobei sich aͤußerte, daß er gegen ein wohlgezogenes schoͤnes Maͤdchen in seinem bisherigen Aufenthaltsort lebhafte Zuneigung hatte, auch wurde aufsteigender Liebestrieb, mehr als bloß platonisch, an ihm wahrgenommen. Erst bei Tagesanbruch legte er sich wieder nieder und schlief ein paar Stunden. Fruͤh um sieben Uhr kehrte sein Begleiter zuruͤck, mit dem er die unterwegens gemachten Auslagen berechnete und unter meinem mitgebenden Brief vollstaͤndig ordentlich einige Zeilen hinzufuͤgte. Beim Anzug hatte er gegen die Mutter wieder verschiedenes von den vorhin erwaͤhnten vorgefallenen Schulhaͤndeln mit Heftigkeit erzaͤhlt. Mit mir war er zuruͤckhaltend im Sprechen. Nach dem Mittagsessen legte er sich aufs Bett; anstatt aber zu schlafen, wollte er gegen das Dienstmaͤdchen Juͤnglingstriebe ausuͤben und sprach Zoten; — gaͤnzlich gegen seine sonstige Art sich zu betragen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0022" n="22"/><lb/> denn jetzt machen wolle? — »er koͤnne nicht schlafen und wolle zu der Abschiedsrede Verse machen,« war die Erwiederung. Beiliegende Reime hat er zwei Naͤchte hintereinander, ohne weitere Feilung in einer Zeit von etwa sechs bis sieben Stunden aufgesetzet; das aufgegebene Thema war: <hi rendition="#b">die Tugend ist der wahre und sichere Weg zur Gluͤckseeligkeit.</hi></p> <p>Zuweilen stand er vom Arbeiten auf, sah ob wir schliefen, legte sich ins Fenster, sang ein Liedchen, wobei sich aͤußerte, daß er gegen ein wohlgezogenes schoͤnes Maͤdchen in seinem bisherigen Aufenthaltsort lebhafte Zuneigung hatte, auch wurde aufsteigender Liebestrieb, mehr als bloß platonisch, an ihm wahrgenommen. </p> <p>Erst bei Tagesanbruch legte er sich wieder nieder und schlief ein paar Stunden. Fruͤh um sieben Uhr kehrte sein Begleiter zuruͤck, mit dem er die unterwegens gemachten Auslagen berechnete und unter meinem mitgebenden Brief vollstaͤndig ordentlich einige Zeilen hinzufuͤgte. </p> <p>Beim Anzug hatte er gegen die Mutter wieder verschiedenes von den vorhin erwaͤhnten vorgefallenen Schulhaͤndeln mit Heftigkeit erzaͤhlt. Mit mir war er zuruͤckhaltend im Sprechen. Nach dem Mittagsessen legte er sich aufs Bett; anstatt aber zu schlafen, wollte er gegen das Dienstmaͤdchen Juͤnglingstriebe ausuͤben und sprach Zoten; — gaͤnzlich gegen seine sonstige Art sich zu betragen.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0022]
denn jetzt machen wolle? — »er koͤnne nicht schlafen und wolle zu der Abschiedsrede Verse machen,« war die Erwiederung. Beiliegende Reime hat er zwei Naͤchte hintereinander, ohne weitere Feilung in einer Zeit von etwa sechs bis sieben Stunden aufgesetzet; das aufgegebene Thema war: die Tugend ist der wahre und sichere Weg zur Gluͤckseeligkeit.
Zuweilen stand er vom Arbeiten auf, sah ob wir schliefen, legte sich ins Fenster, sang ein Liedchen, wobei sich aͤußerte, daß er gegen ein wohlgezogenes schoͤnes Maͤdchen in seinem bisherigen Aufenthaltsort lebhafte Zuneigung hatte, auch wurde aufsteigender Liebestrieb, mehr als bloß platonisch, an ihm wahrgenommen.
Erst bei Tagesanbruch legte er sich wieder nieder und schlief ein paar Stunden. Fruͤh um sieben Uhr kehrte sein Begleiter zuruͤck, mit dem er die unterwegens gemachten Auslagen berechnete und unter meinem mitgebenden Brief vollstaͤndig ordentlich einige Zeilen hinzufuͤgte.
Beim Anzug hatte er gegen die Mutter wieder verschiedenes von den vorhin erwaͤhnten vorgefallenen Schulhaͤndeln mit Heftigkeit erzaͤhlt. Mit mir war er zuruͤckhaltend im Sprechen. Nach dem Mittagsessen legte er sich aufs Bett; anstatt aber zu schlafen, wollte er gegen das Dienstmaͤdchen Juͤnglingstriebe ausuͤben und sprach Zoten; — gaͤnzlich gegen seine sonstige Art sich zu betragen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/22 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/22>, abgerufen am 16.07.2024. |