Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Nach kurzer Selbstsammlung und nachdem ich die Unrichtigkeit in seinem Gemüthe bemerkte, versetzte ich den erhaltenen Schrecken verbergend: "nein, liebster Sohn! Du bist mir herzlich angenehm, nur bist Du mir unvermuthet gekommen, und aus dieser geäußerten Befremdung schließest Du unrichtig das Gegentheil vom Willkommenseyn." "Ja, war die Erwiederung, das muß ich gestehen, ich bin jetzt ausserordentlich empfindlich, und wer nur im geringsten meine Ehre antasten will, gegen den bin ich augenblicklich aufgebracht." Hierüber abbrechend erkundigte ich mich nach seinem und der verlassenen Verwandten Befinden, worauf er kurz antwortete, mittlerweile seine Stiefmutter wieder ins Zimmer kam, die ihn mit einer ihr gewöhnlichen sanften und heiteren Miene empfing, zu der er sagte, wo sind Sie gewesen, o nur nicht zu viele Umstände meinetwegen gemacht, das bringt mich gleich in Verlegenheit -- und sein Ton klang abermals verdrüßlich. Ehe ich weiter fortfahre, werde ich so eben gewahr, der Geschichtserzähler sey verrathen, was ich beym Anfang des Aufsatzes just nicht wollte;
Nach kurzer Selbstsammlung und nachdem ich die Unrichtigkeit in seinem Gemuͤthe bemerkte, versetzte ich den erhaltenen Schrecken verbergend: »nein, liebster Sohn! Du bist mir herzlich angenehm, nur bist Du mir unvermuthet gekommen, und aus dieser geaͤußerten Befremdung schließest Du unrichtig das Gegentheil vom Willkommenseyn.« »Ja, war die Erwiederung, das muß ich gestehen, ich bin jetzt ausserordentlich empfindlich, und wer nur im geringsten meine Ehre antasten will, gegen den bin ich augenblicklich aufgebracht.« Hieruͤber abbrechend erkundigte ich mich nach seinem und der verlassenen Verwandten Befinden, worauf er kurz antwortete, mittlerweile seine Stiefmutter wieder ins Zimmer kam, die ihn mit einer ihr gewoͤhnlichen sanften und heiteren Miene empfing, zu der er sagte, wo sind Sie gewesen, o nur nicht zu viele Umstaͤnde meinetwegen gemacht, das bringt mich gleich in Verlegenheit — und sein Ton klang abermals verdruͤßlich. Ehe ich weiter fortfahre, werde ich so eben gewahr, der Geschichtserzaͤhler sey verrathen, was ich beym Anfang des Aufsatzes just nicht wollte; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="19"/><lb/> »Gott! wo kommst Du her, lieber Sohn?« antwortete er hastig und mit verdruͤßlichem Laut: »Sehen Sie mich etwa nicht gern, so reise ich gleich wieder fort;« welches Bezeigen seinem sonstigen ganz entgegen stand. </p> <p>Nach kurzer Selbstsammlung und nachdem ich die Unrichtigkeit in seinem Gemuͤthe bemerkte, versetzte ich den erhaltenen Schrecken verbergend: »nein, liebster Sohn! Du bist mir herzlich angenehm, nur bist Du mir unvermuthet gekommen, und aus dieser geaͤußerten Befremdung schließest Du unrichtig das Gegentheil vom Willkommenseyn.« </p> <p>»Ja, war die Erwiederung, das muß ich gestehen, ich bin jetzt ausserordentlich empfindlich, und wer nur im geringsten meine Ehre antasten will, gegen den bin ich augenblicklich aufgebracht.« Hieruͤber abbrechend erkundigte ich mich nach seinem und der verlassenen Verwandten Befinden, worauf er kurz antwortete, mittlerweile seine Stiefmutter wieder ins Zimmer kam, die ihn mit einer ihr gewoͤhnlichen sanften und heiteren Miene empfing, zu der er sagte, wo sind Sie gewesen, o nur nicht zu viele Umstaͤnde meinetwegen gemacht, das bringt mich gleich in Verlegenheit — und sein Ton klang abermals verdruͤßlich. </p> <p>Ehe ich weiter fortfahre, werde ich so eben gewahr, der Geschichtserzaͤhler sey verrathen, was ich beym Anfang des Aufsatzes just nicht wollte;<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0019]
»Gott! wo kommst Du her, lieber Sohn?« antwortete er hastig und mit verdruͤßlichem Laut: »Sehen Sie mich etwa nicht gern, so reise ich gleich wieder fort;« welches Bezeigen seinem sonstigen ganz entgegen stand.
Nach kurzer Selbstsammlung und nachdem ich die Unrichtigkeit in seinem Gemuͤthe bemerkte, versetzte ich den erhaltenen Schrecken verbergend: »nein, liebster Sohn! Du bist mir herzlich angenehm, nur bist Du mir unvermuthet gekommen, und aus dieser geaͤußerten Befremdung schließest Du unrichtig das Gegentheil vom Willkommenseyn.«
»Ja, war die Erwiederung, das muß ich gestehen, ich bin jetzt ausserordentlich empfindlich, und wer nur im geringsten meine Ehre antasten will, gegen den bin ich augenblicklich aufgebracht.« Hieruͤber abbrechend erkundigte ich mich nach seinem und der verlassenen Verwandten Befinden, worauf er kurz antwortete, mittlerweile seine Stiefmutter wieder ins Zimmer kam, die ihn mit einer ihr gewoͤhnlichen sanften und heiteren Miene empfing, zu der er sagte, wo sind Sie gewesen, o nur nicht zu viele Umstaͤnde meinetwegen gemacht, das bringt mich gleich in Verlegenheit — und sein Ton klang abermals verdruͤßlich.
Ehe ich weiter fortfahre, werde ich so eben gewahr, der Geschichtserzaͤhler sey verrathen, was ich beym Anfang des Aufsatzes just nicht wollte;
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/19>, abgerufen am 17.02.2025. |