Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Tugend giebt. Es ist allzuleicht, in dieser verführerischen Dämmerung sich aus dem Bezirke der letztern in eine unmerkliche Spirallinie zu verlieren, deren Mittelpunkt ein süßes Vergessen unsrer selbst und unsrer Pflichten ist."


II. Einige Scenen aus meiner Kindheit.

So oft ich im Herbste spaziren gehe und besonders gelbgewordene Baumblätter herabgeworfen sehe, so oft fällt mir eine Scene aus meiner ersten Kindheit ein. Jch konnte noch nicht über sechs Jahre alt seyn, als ich an einem Sonnabend um eilf Uhr aus der Schule kam. Auf meinem Wege nach Hause sang ich mir etwas von dem Liede, das zum Schlüsse der Woche gesungen worden war, und meine junge Seele hing besonders an dem Bilde, das im ersten Psalm vorkömmt, und wo der Fromme mit einem Baume verglichen wird, der an Wasserbächen stehe. Dies Bild war in diesem Liede nachgeahmt, und ich kann nicht sagen, mit welcher Freude ich das Bild bey mir unterhielt, und mit welcher Jnnigkeit und herzlichen, kindischen Einfalt ich besonders die Worte sang:



Tugend giebt. Es ist allzuleicht, in dieser verfuͤhrerischen Daͤmmerung sich aus dem Bezirke der letztern in eine unmerkliche Spirallinie zu verlieren, deren Mittelpunkt ein suͤßes Vergessen unsrer selbst und unsrer Pflichten ist.«


II. Einige Scenen aus meiner Kindheit.

So oft ich im Herbste spaziren gehe und besonders gelbgewordene Baumblaͤtter herabgeworfen sehe, so oft faͤllt mir eine Scene aus meiner ersten Kindheit ein. Jch konnte noch nicht uͤber sechs Jahre alt seyn, als ich an einem Sonnabend um eilf Uhr aus der Schule kam. Auf meinem Wege nach Hause sang ich mir etwas von dem Liede, das zum Schluͤsse der Woche gesungen worden war, und meine junge Seele hing besonders an dem Bilde, das im ersten Psalm vorkoͤmmt, und wo der Fromme mit einem Baume verglichen wird, der an Wasserbaͤchen stehe. Dies Bild war in diesem Liede nachgeahmt, und ich kann nicht sagen, mit welcher Freude ich das Bild bey mir unterhielt, und mit welcher Jnnigkeit und herzlichen, kindischen Einfalt ich besonders die Worte sang:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0105" n="105"/><lb/>
Tugend giebt. Es ist allzuleicht, in dieser verfu&#x0364;hrerischen                   Da&#x0364;mmerung sich aus dem Bezirke der letztern in eine unmerkliche Spirallinie zu                   verlieren, deren Mittelpunkt ein su&#x0364;ßes Vergessen unsrer selbst und unsrer                   Pflichten ist.« </p><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">II</hi>.             Einige Scenen aus meiner Kindheit.</head><lb/>
            <note type="editorial">
              <bibl>
                <persName ref="#ref79"><note type="editorial"/>Spazier, Karl</persName>
              </bibl>
            </note>
            <p>So oft ich im Herbste spaziren gehe und besonders gelbgewordene                   Baumbla&#x0364;tter herabgeworfen sehe, so oft fa&#x0364;llt mir eine Scene aus meiner ersten                   Kindheit ein. Jch konnte noch nicht u&#x0364;ber sechs Jahre alt seyn, als ich an einem                   Sonnabend um eilf Uhr aus der Schule kam. Auf meinem Wege nach Hause sang ich mir                   etwas von dem Liede, das zum Schlu&#x0364;sse der Woche gesungen worden war, und meine                   junge Seele hing besonders an dem Bilde, das im ersten Psalm vorko&#x0364;mmt, und wo der                   Fromme mit einem Baume verglichen wird, der an Wasserba&#x0364;chen stehe. Dies Bild war                   in diesem Liede nachgeahmt, und ich kann nicht sagen, mit welcher Freude ich das                   Bild bey mir unterhielt, und mit welcher Jnnigkeit und herzlichen, kindischen                   Einfalt ich besonders die Worte sang:</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0105] Tugend giebt. Es ist allzuleicht, in dieser verfuͤhrerischen Daͤmmerung sich aus dem Bezirke der letztern in eine unmerkliche Spirallinie zu verlieren, deren Mittelpunkt ein suͤßes Vergessen unsrer selbst und unsrer Pflichten ist.« II. Einige Scenen aus meiner Kindheit. So oft ich im Herbste spaziren gehe und besonders gelbgewordene Baumblaͤtter herabgeworfen sehe, so oft faͤllt mir eine Scene aus meiner ersten Kindheit ein. Jch konnte noch nicht uͤber sechs Jahre alt seyn, als ich an einem Sonnabend um eilf Uhr aus der Schule kam. Auf meinem Wege nach Hause sang ich mir etwas von dem Liede, das zum Schluͤsse der Woche gesungen worden war, und meine junge Seele hing besonders an dem Bilde, das im ersten Psalm vorkoͤmmt, und wo der Fromme mit einem Baume verglichen wird, der an Wasserbaͤchen stehe. Dies Bild war in diesem Liede nachgeahmt, und ich kann nicht sagen, mit welcher Freude ich das Bild bey mir unterhielt, und mit welcher Jnnigkeit und herzlichen, kindischen Einfalt ich besonders die Worte sang:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/105
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/105>, abgerufen am 02.05.2024.