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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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durch leicht in Schrecken gesetzt, und es gehört schon einige Zeit dazu, ehe es sich in der Nähe daran gewöhnt. Jch habe Kinder ängstlich weinen sehen, wenn in der Nähe ein Lämmchen blökte, oder ein Hahn krähete, -- und wahrscheinlich fürchten sich Kinder auch wohl deswegen gemeiniglich so sehr vor Thieren, weil sie anfangs die Stimme derselben nicht vertragen können. Daß sich übrigens diese dem Gehirne des Kindes tief eindrückt, ist daraus sichtbar, daß es anfangs immer das Thier so benennet, wie es schreit.

So viel von den Ausdrücken des Kindes überhaupt, ehe es noch eine würkliche Wortsprache gelernt hat! -- Aber wie gelangt es nun zu dieser; mit welchen Wörtern fängt es seine Sprache an; wie vermeidet es die Verwirrung seiner Begriffe, die durch Erlernung so vieler Sprachwörter, die ihm theils geflissentlich vorgesagt werden, theils durch den Zufall zu seinen Ohren gelangen, so leicht entstehen konnte -- kurz wie lernt es sich ordentlich und verständlich ausdrücken? -- Fragen, die allerdings beantwortet zu werden verdienen, ob ich mich gleich hier nur im Allgemeinen damit beschäftigen kann.

Wenn wir darauf Acht geben, wie sich Kinder nach und nach durch Worte ausdrücken lernen, so werden wir finden, daß ihre Sprache nichts anders, als eine Nachahmung der Sprache derjenigen ist, die mit ihnen umgehen; selbst diejenigen


durch leicht in Schrecken gesetzt, und es gehoͤrt schon einige Zeit dazu, ehe es sich in der Naͤhe daran gewoͤhnt. Jch habe Kinder aͤngstlich weinen sehen, wenn in der Naͤhe ein Laͤmmchen bloͤkte, oder ein Hahn kraͤhete, — und wahrscheinlich fuͤrchten sich Kinder auch wohl deswegen gemeiniglich so sehr vor Thieren, weil sie anfangs die Stimme derselben nicht vertragen koͤnnen. Daß sich uͤbrigens diese dem Gehirne des Kindes tief eindruͤckt, ist daraus sichtbar, daß es anfangs immer das Thier so benennet, wie es schreit.

So viel von den Ausdruͤcken des Kindes uͤberhaupt, ehe es noch eine wuͤrkliche Wortsprache gelernt hat! — Aber wie gelangt es nun zu dieser; mit welchen Woͤrtern faͤngt es seine Sprache an; wie vermeidet es die Verwirrung seiner Begriffe, die durch Erlernung so vieler Sprachwoͤrter, die ihm theils geflissentlich vorgesagt werden, theils durch den Zufall zu seinen Ohren gelangen, so leicht entstehen konnte — kurz wie lernt es sich ordentlich und verstaͤndlich ausdruͤcken? — Fragen, die allerdings beantwortet zu werden verdienen, ob ich mich gleich hier nur im Allgemeinen damit beschaͤftigen kann.

Wenn wir darauf Acht geben, wie sich Kinder nach und nach durch Worte ausdruͤcken lernen, so werden wir finden, daß ihre Sprache nichts anders, als eine Nachahmung der Sprache derjenigen ist, die mit ihnen umgehen; selbst diejenigen

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[79/0081] durch leicht in Schrecken gesetzt, und es gehoͤrt schon einige Zeit dazu, ehe es sich in der Naͤhe daran gewoͤhnt. Jch habe Kinder aͤngstlich weinen sehen, wenn in der Naͤhe ein Laͤmmchen bloͤkte, oder ein Hahn kraͤhete, — und wahrscheinlich fuͤrchten sich Kinder auch wohl deswegen gemeiniglich so sehr vor Thieren, weil sie anfangs die Stimme derselben nicht vertragen koͤnnen. Daß sich uͤbrigens diese dem Gehirne des Kindes tief eindruͤckt, ist daraus sichtbar, daß es anfangs immer das Thier so benennet, wie es schreit. So viel von den Ausdruͤcken des Kindes uͤberhaupt, ehe es noch eine wuͤrkliche Wortsprache gelernt hat! — Aber wie gelangt es nun zu dieser; mit welchen Woͤrtern faͤngt es seine Sprache an; wie vermeidet es die Verwirrung seiner Begriffe, die durch Erlernung so vieler Sprachwoͤrter, die ihm theils geflissentlich vorgesagt werden, theils durch den Zufall zu seinen Ohren gelangen, so leicht entstehen konnte — kurz wie lernt es sich ordentlich und verstaͤndlich ausdruͤcken? — Fragen, die allerdings beantwortet zu werden verdienen, ob ich mich gleich hier nur im Allgemeinen damit beschaͤftigen kann. Wenn wir darauf Acht geben, wie sich Kinder nach und nach durch Worte ausdruͤcken lernen, so werden wir finden, daß ihre Sprache nichts anders, als eine Nachahmung der Sprache derjenigen ist, die mit ihnen umgehen; selbst diejenigen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/81>, abgerufen am 30.04.2024.