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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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trift, so glaub' ich, daß man hieraus schon mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen kann, daß die angeblichen Ahndungen mancher Personen in ganz andern Dingen ihren Grund haben.

Es giebt für das menschliche Geschlecht, so wie für alle übrigen Gattungen von Geschöpfen gewisse allgemeine Eigenschaften, worin jedes Jndividuum mit dem andern seiner Art übereinkommt.

So haben alle Menschen Urtheils- Gedächtniß- und Jmaginationskraft, obgleich die Verschiedenheit des Körperbaues, feinere Nerven und Gehirnfibern, oder eine etwas andre Lage derselben und mehrere dergleichen Ursachen, nebst fortgesetzter Uebung dieser Vermögen einen ausserordentlichen Unterschied in den Graden der Stärke und Schwäche derselben verursachen. Dieß findet sich aber bei dem angeblichen Ahndungsvermögen anders, und folglich kann es gewiß nicht zu dieser Klasse der allgemeinen Eigenschaften gerechnet werden.

Untersucht man anderntheils die Beschaffenheit desselben, so muß es der Vernunft allerdings etwas fabelhaft scheinen, daß ein Mensch künftige Ereignisse vorhersehn könne, ohne sich im geringsten ihrer Ursachen bewußt zu seyn. Jch gestehe ein, ich habe hiervon keinen Begrif, und ich glaube, daß selbst Gott auf diese Weise das Zukünftige nicht vermögend ist, vorauszusehn.



trift, so glaub' ich, daß man hieraus schon mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen kann, daß die angeblichen Ahndungen mancher Personen in ganz andern Dingen ihren Grund haben.

Es giebt fuͤr das menschliche Geschlecht, so wie fuͤr alle uͤbrigen Gattungen von Geschoͤpfen gewisse allgemeine Eigenschaften, worin jedes Jndividuum mit dem andern seiner Art uͤbereinkommt.

So haben alle Menschen Urtheils- Gedaͤchtniß- und Jmaginationskraft, obgleich die Verschiedenheit des Koͤrperbaues, feinere Nerven und Gehirnfibern, oder eine etwas andre Lage derselben und mehrere dergleichen Ursachen, nebst fortgesetzter Uebung dieser Vermoͤgen einen ausserordentlichen Unterschied in den Graden der Staͤrke und Schwaͤche derselben verursachen. Dieß findet sich aber bei dem angeblichen Ahndungsvermoͤgen anders, und folglich kann es gewiß nicht zu dieser Klasse der allgemeinen Eigenschaften gerechnet werden.

Untersucht man anderntheils die Beschaffenheit desselben, so muß es der Vernunft allerdings etwas fabelhaft scheinen, daß ein Mensch kuͤnftige Ereignisse vorhersehn koͤnne, ohne sich im geringsten ihrer Ursachen bewußt zu seyn. Jch gestehe ein, ich habe hiervon keinen Begrif, und ich glaube, daß selbst Gott auf diese Weise das Zukuͤnftige nicht vermoͤgend ist, vorauszusehn.


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[63/0065] trift, so glaub' ich, daß man hieraus schon mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen kann, daß die angeblichen Ahndungen mancher Personen in ganz andern Dingen ihren Grund haben. Es giebt fuͤr das menschliche Geschlecht, so wie fuͤr alle uͤbrigen Gattungen von Geschoͤpfen gewisse allgemeine Eigenschaften, worin jedes Jndividuum mit dem andern seiner Art uͤbereinkommt. So haben alle Menschen Urtheils- Gedaͤchtniß- und Jmaginationskraft, obgleich die Verschiedenheit des Koͤrperbaues, feinere Nerven und Gehirnfibern, oder eine etwas andre Lage derselben und mehrere dergleichen Ursachen, nebst fortgesetzter Uebung dieser Vermoͤgen einen ausserordentlichen Unterschied in den Graden der Staͤrke und Schwaͤche derselben verursachen. Dieß findet sich aber bei dem angeblichen Ahndungsvermoͤgen anders, und folglich kann es gewiß nicht zu dieser Klasse der allgemeinen Eigenschaften gerechnet werden. Untersucht man anderntheils die Beschaffenheit desselben, so muß es der Vernunft allerdings etwas fabelhaft scheinen, daß ein Mensch kuͤnftige Ereignisse vorhersehn koͤnne, ohne sich im geringsten ihrer Ursachen bewußt zu seyn. Jch gestehe ein, ich habe hiervon keinen Begrif, und ich glaube, daß selbst Gott auf diese Weise das Zukuͤnftige nicht vermoͤgend ist, vorauszusehn.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/65>, abgerufen am 30.04.2024.