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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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Allein so geschwind konnt' ich mich nicht entschliessen, eine Meinung anzunehmen, gegen die sich noch zur Zeit so viel triftige Gründe anführen lassen. Denn einmal ist es doch gewiß sonderbar, daß dieß Vermögen (in dem Fall, daß es ein solches geben sollte) so wenigen Menschen zu Theil geworden ist, so daß man es von jeher für eine sehr seltene Erscheinung hat halten müssen.

Jst dem Menschen eine solche Fähigkeit nützlich, und das müßte sie doch nach den ewigen Gesetzen der Natur seyn, wenn sie mit der Weisheit Gottes bestehn sollte, so frägt sichs, warum dieß nützliche Geschenk so vielen Tausenden ganz und gar versagt worden ist?

Hier könnte mir freilich mancher feindistinguirende Kopf einwerfen, daß dieß Vermögen eigentlich niemanden fehlte, sondern daß es sich nur nicht bei allen wirksam bezeigte. Aber mit Erlaubniß aller der Herren, die dieser subtilen Art von Distinktionen zugethan sind, mögt' ich wohl fragen, durch welche Offenbarung sie denn den Unterricht von dem Daseyn eines solchen Vermögens bei allen Menschen erhalten haben, weil bekanntlich die Existenz eines Dinges, das sich so geradezu mit leiblichen Augen nicht schauen läßt, doch nur aus seinen Wirkungen erkannt werden kann?

Meinten sie aber, daß weil es sich bei einigen Menschen findet, man folglich schliessen könnte, daß es alle übrigen auch hätten, so machen sie sich hier


Allein so geschwind konnt' ich mich nicht entschliessen, eine Meinung anzunehmen, gegen die sich noch zur Zeit so viel triftige Gruͤnde anfuͤhren lassen. Denn einmal ist es doch gewiß sonderbar, daß dieß Vermoͤgen (in dem Fall, daß es ein solches geben sollte) so wenigen Menschen zu Theil geworden ist, so daß man es von jeher fuͤr eine sehr seltene Erscheinung hat halten muͤssen.

Jst dem Menschen eine solche Faͤhigkeit nuͤtzlich, und das muͤßte sie doch nach den ewigen Gesetzen der Natur seyn, wenn sie mit der Weisheit Gottes bestehn sollte, so fraͤgt sichs, warum dieß nuͤtzliche Geschenk so vielen Tausenden ganz und gar versagt worden ist?

Hier koͤnnte mir freilich mancher feindistinguirende Kopf einwerfen, daß dieß Vermoͤgen eigentlich niemanden fehlte, sondern daß es sich nur nicht bei allen wirksam bezeigte. Aber mit Erlaubniß aller der Herren, die dieser subtilen Art von Distinktionen zugethan sind, moͤgt' ich wohl fragen, durch welche Offenbarung sie denn den Unterricht von dem Daseyn eines solchen Vermoͤgens bei allen Menschen erhalten haben, weil bekanntlich die Existenz eines Dinges, das sich so geradezu mit leiblichen Augen nicht schauen laͤßt, doch nur aus seinen Wirkungen erkannt werden kann?

Meinten sie aber, daß weil es sich bei einigen Menschen findet, man folglich schliessen koͤnnte, daß es alle uͤbrigen auch haͤtten, so machen sie sich hier

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[61/0063] Allein so geschwind konnt' ich mich nicht entschliessen, eine Meinung anzunehmen, gegen die sich noch zur Zeit so viel triftige Gruͤnde anfuͤhren lassen. Denn einmal ist es doch gewiß sonderbar, daß dieß Vermoͤgen (in dem Fall, daß es ein solches geben sollte) so wenigen Menschen zu Theil geworden ist, so daß man es von jeher fuͤr eine sehr seltene Erscheinung hat halten muͤssen. Jst dem Menschen eine solche Faͤhigkeit nuͤtzlich, und das muͤßte sie doch nach den ewigen Gesetzen der Natur seyn, wenn sie mit der Weisheit Gottes bestehn sollte, so fraͤgt sichs, warum dieß nuͤtzliche Geschenk so vielen Tausenden ganz und gar versagt worden ist? Hier koͤnnte mir freilich mancher feindistinguirende Kopf einwerfen, daß dieß Vermoͤgen eigentlich niemanden fehlte, sondern daß es sich nur nicht bei allen wirksam bezeigte. Aber mit Erlaubniß aller der Herren, die dieser subtilen Art von Distinktionen zugethan sind, moͤgt' ich wohl fragen, durch welche Offenbarung sie denn den Unterricht von dem Daseyn eines solchen Vermoͤgens bei allen Menschen erhalten haben, weil bekanntlich die Existenz eines Dinges, das sich so geradezu mit leiblichen Augen nicht schauen laͤßt, doch nur aus seinen Wirkungen erkannt werden kann? Meinten sie aber, daß weil es sich bei einigen Menschen findet, man folglich schliessen koͤnnte, daß es alle uͤbrigen auch haͤtten, so machen sie sich hier

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/63>, abgerufen am 30.04.2024.