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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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gewöhnlich abergläubischen Phantasien, betrachtet hatte, sahe mich nun bei der traurigen Erfüllung alles dessen, was und wie ichs ihr vorhergesagt, für einen halben Gott an.

Kurz, mein Freund war todt, und er war um fünf Uhr Nachmittag so gestorben, wie ich es früh um sechs Uhr nach allen Umständen im Traum vorher sahe.

Hat nun die Seele nicht ein Vorhersehungsvermögen? Hatte es nicht die Seele meines Freundes, der bei den muntersten Kräften seines Leibes und der Seele so viel von seinem nahen Tode sprach? Hat es wenigstens nicht meine Seele, die des Morgens um sechs Uhr etwas voraussieht, was Nachmittag um fünf Uhr erfolgt, aber durch keine Muthmaßungen oder Vernunftschlüsse herausgebracht werden konnte?

Ulrici.

V. Die Nichtigkeit des Ahndungsvermögens oder sonderbare Wirkungen eines melancholischen Temperaments.

---- Da dieser Gegenstand noch von so vielen Dunkelheiten begleitet wird, und ich Ursach zu haben glaubte, an einem solchen Ahndungsvermögen der Seele zu zweifeln, so kann man leicht denken,


gewoͤhnlich aberglaͤubischen Phantasien, betrachtet hatte, sahe mich nun bei der traurigen Erfuͤllung alles dessen, was und wie ichs ihr vorhergesagt, fuͤr einen halben Gott an.

Kurz, mein Freund war todt, und er war um fuͤnf Uhr Nachmittag so gestorben, wie ich es fruͤh um sechs Uhr nach allen Umstaͤnden im Traum vorher sahe.

Hat nun die Seele nicht ein Vorhersehungsvermoͤgen? Hatte es nicht die Seele meines Freundes, der bei den muntersten Kraͤften seines Leibes und der Seele so viel von seinem nahen Tode sprach? Hat es wenigstens nicht meine Seele, die des Morgens um sechs Uhr etwas voraussieht, was Nachmittag um fuͤnf Uhr erfolgt, aber durch keine Muthmaßungen oder Vernunftschluͤsse herausgebracht werden konnte?

Ulrici.

V. Die Nichtigkeit des Ahndungsvermoͤgens oder sonderbare Wirkungen eines melancholischen Temperaments.

—— Da dieser Gegenstand noch von so vielen Dunkelheiten begleitet wird, und ich Ursach zu haben glaubte, an einem solchen Ahndungsvermoͤgen der Seele zu zweifeln, so kann man leicht denken,

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[56/0058] gewoͤhnlich aberglaͤubischen Phantasien, betrachtet hatte, sahe mich nun bei der traurigen Erfuͤllung alles dessen, was und wie ichs ihr vorhergesagt, fuͤr einen halben Gott an. Kurz, mein Freund war todt, und er war um fuͤnf Uhr Nachmittag so gestorben, wie ich es fruͤh um sechs Uhr nach allen Umstaͤnden im Traum vorher sahe. Hat nun die Seele nicht ein Vorhersehungsvermoͤgen? Hatte es nicht die Seele meines Freundes, der bei den muntersten Kraͤften seines Leibes und der Seele so viel von seinem nahen Tode sprach? Hat es wenigstens nicht meine Seele, die des Morgens um sechs Uhr etwas voraussieht, was Nachmittag um fuͤnf Uhr erfolgt, aber durch keine Muthmaßungen oder Vernunftschluͤsse herausgebracht werden konnte? Ulrici. V. Die Nichtigkeit des Ahndungsvermoͤgens oder sonderbare Wirkungen eines melancholischen Temperaments. —— Da dieser Gegenstand noch von so vielen Dunkelheiten begleitet wird, und ich Ursach zu haben glaubte, an einem solchen Ahndungsvermoͤgen der Seele zu zweifeln, so kann man leicht denken,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/58>, abgerufen am 30.04.2024.