Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.Jn den letzten vier Wochen vor seinem Ende aber sprach er bei jeder Zusammenkunft von seinem sehr nahe bevorstehenden Tode. Den Dienstag vor Pfingsten im Jahr 1776 kam er des Morgens ganz frühe zu mir und sagte: Freund, sind Sie heute von wichtigen Geschäften frei, so bleibe ich den ganzen Tag bei Jhnen, vielleicht ist es das letztemal, daß ich zu Jhnen komme. Jch bringe Jhnen daher meinen Leichentext und einige Umstände von meinem Lebenslauf, die Jhnen nicht bekannt sind, Sie werden mir doch wohl der Gewohnheit nach eine Leichenpredigt halten müssen. Nach einigen freundschaftlichen Verweigerungen nahm ichs an. Noch eins, sagte er: Mein Sohn wird im Feste zu mir kommen und nebst andern Freunden, die Sie schon kennen, auch seine Braut mitbringen, die müssen Sie sehen, und mir Jhr Urtheil sagen, ob die Person auch für ihn sei? Sie müssen daher den zweiten Pfingsttag, wenn wir unsere Arbeiten gethan, bei mir zu Mittage essen. Jch versprach, mit meiner Frau zu kommen. Den ersten Feiertag schrieb er an mich: Freund! es bleibt doch bei ihrem Versprechen, Morgen Mittag zu uns zu kommen? Da ich aber noch einige Amtsverrichtungen habe und zuletzt der H.. nahe bin, meine Kinder aber gern da zu Mittage essen wollen, so habe ich ihnen dieß Vergnügen nicht versagt, und unser Mittagsbrod da besorgt, Jn den letzten vier Wochen vor seinem Ende aber sprach er bei jeder Zusammenkunft von seinem sehr nahe bevorstehenden Tode. Den Dienstag vor Pfingsten im Jahr 1776 kam er des Morgens ganz fruͤhe zu mir und sagte: Freund, sind Sie heute von wichtigen Geschaͤften frei, so bleibe ich den ganzen Tag bei Jhnen, vielleicht ist es das letztemal, daß ich zu Jhnen komme. Jch bringe Jhnen daher meinen Leichentext und einige Umstaͤnde von meinem Lebenslauf, die Jhnen nicht bekannt sind, Sie werden mir doch wohl der Gewohnheit nach eine Leichenpredigt halten muͤssen. Nach einigen freundschaftlichen Verweigerungen nahm ichs an. Noch eins, sagte er: Mein Sohn wird im Feste zu mir kommen und nebst andern Freunden, die Sie schon kennen, auch seine Braut mitbringen, die muͤssen Sie sehen, und mir Jhr Urtheil sagen, ob die Person auch fuͤr ihn sei? Sie muͤssen daher den zweiten Pfingsttag, wenn wir unsere Arbeiten gethan, bei mir zu Mittage essen. Jch versprach, mit meiner Frau zu kommen. Den ersten Feiertag schrieb er an mich: Freund! es bleibt doch bei ihrem Versprechen, Morgen Mittag zu uns zu kommen? Da ich aber noch einige Amtsverrichtungen habe und zuletzt der H.. nahe bin, meine Kinder aber gern da zu Mittage essen wollen, so habe ich ihnen dieß Vergnuͤgen nicht versagt, und unser Mittagsbrod da besorgt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0050" n="48"/><lb/> <p>Jn den letzten vier Wochen vor seinem Ende aber sprach er bei jeder Zusammenkunft von seinem sehr nahe bevorstehenden Tode.</p> <p>Den Dienstag vor Pfingsten im Jahr 1776 kam er des Morgens ganz fruͤhe zu mir und sagte: Freund, sind Sie heute von wichtigen Geschaͤften frei, so bleibe ich den ganzen Tag bei Jhnen, vielleicht ist es das letztemal, daß ich zu Jhnen komme.</p> <p>Jch bringe Jhnen daher meinen Leichentext und einige Umstaͤnde von meinem Lebenslauf, die Jhnen nicht bekannt sind, Sie werden mir doch wohl der Gewohnheit nach eine Leichenpredigt halten muͤssen. Nach einigen freundschaftlichen Verweigerungen nahm ichs an.</p> <p>Noch eins, sagte er: Mein Sohn wird im Feste zu mir kommen und nebst andern Freunden, die Sie schon kennen, auch seine Braut mitbringen, die muͤssen Sie sehen, und mir Jhr Urtheil sagen, ob die Person auch fuͤr ihn sei? Sie muͤssen daher den zweiten Pfingsttag, wenn wir unsere Arbeiten gethan, bei mir zu Mittage essen. Jch versprach, mit meiner Frau zu kommen.</p> <p>Den ersten Feiertag schrieb er an mich: Freund! es bleibt doch bei ihrem Versprechen, Morgen Mittag zu uns zu kommen? Da ich aber noch einige Amtsverrichtungen habe und zuletzt der H.. nahe bin, meine Kinder aber gern da zu Mittage essen wollen, so habe ich ihnen dieß Vergnuͤgen nicht versagt, und unser Mittagsbrod da besorgt,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0050]
Jn den letzten vier Wochen vor seinem Ende aber sprach er bei jeder Zusammenkunft von seinem sehr nahe bevorstehenden Tode.
Den Dienstag vor Pfingsten im Jahr 1776 kam er des Morgens ganz fruͤhe zu mir und sagte: Freund, sind Sie heute von wichtigen Geschaͤften frei, so bleibe ich den ganzen Tag bei Jhnen, vielleicht ist es das letztemal, daß ich zu Jhnen komme.
Jch bringe Jhnen daher meinen Leichentext und einige Umstaͤnde von meinem Lebenslauf, die Jhnen nicht bekannt sind, Sie werden mir doch wohl der Gewohnheit nach eine Leichenpredigt halten muͤssen. Nach einigen freundschaftlichen Verweigerungen nahm ichs an.
Noch eins, sagte er: Mein Sohn wird im Feste zu mir kommen und nebst andern Freunden, die Sie schon kennen, auch seine Braut mitbringen, die muͤssen Sie sehen, und mir Jhr Urtheil sagen, ob die Person auch fuͤr ihn sei? Sie muͤssen daher den zweiten Pfingsttag, wenn wir unsere Arbeiten gethan, bei mir zu Mittage essen. Jch versprach, mit meiner Frau zu kommen.
Den ersten Feiertag schrieb er an mich: Freund! es bleibt doch bei ihrem Versprechen, Morgen Mittag zu uns zu kommen? Da ich aber noch einige Amtsverrichtungen habe und zuletzt der H.. nahe bin, meine Kinder aber gern da zu Mittage essen wollen, so habe ich ihnen dieß Vergnuͤgen nicht versagt, und unser Mittagsbrod da besorgt,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/50>, abgerufen am 27.07.2024. |