Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Aber wie kamen die Menschen auf Substantive, Adjektive und Verben, die nicht hörbare Gegenstände z.E. nur sichtbare bezeichneten, und wo die menschliche Stimme nichts nachzuahmen hatte? Hier wird die Erklärung des Ursprungs der Wörter schon viel schwerer, und ich möchte behaupten, am allerschwersten. Hier stehen Gehör und Gesicht nicht in der engen Verbindung mit einander, als Gehör und Stimme, und doch ist es nicht ganz zu läugnen, daß sich Eigenschaften blos sichtbarer Gegenstände durch eine gewisse Beugung der Stimme, als solche, ausdrücken lassen. So bezeichnete man z.E. Höhe und Niedrigkeit vielleicht durch das Steigen und Fallen des Tons; Schnelligkeit und Langsamkeit einer Bewegung durch Schnelligkeit und Langsamkeit der Stimme. Ueberhaupt mochte die Art der Aussprache, der wir hier sehr unrecht den Namen Deklamation geben würden, bei den ersten Menschen oft den Mangel an Sprachwörtern ersetzen helfen. Zur Bezeichnung solcher Prädikate sinnlicher Gegenstände, die den Geschmack, Geruch und zum Theil auch das Gefühl des Menschen reitzten, hat man sich wahrscheinlich am längsten der bloßen Zeichensprache bedient. Es ist merkwürdig, daß wir mit dem Ausdruck jener Gegenstände, ob wir
Aber wie kamen die Menschen auf Substantive, Adjektive und Verben, die nicht hoͤrbare Gegenstaͤnde z.E. nur sichtbare bezeichneten, und wo die menschliche Stimme nichts nachzuahmen hatte? Hier wird die Erklaͤrung des Ursprungs der Woͤrter schon viel schwerer, und ich moͤchte behaupten, am allerschwersten. Hier stehen Gehoͤr und Gesicht nicht in der engen Verbindung mit einander, als Gehoͤr und Stimme, und doch ist es nicht ganz zu laͤugnen, daß sich Eigenschaften blos sichtbarer Gegenstaͤnde durch eine gewisse Beugung der Stimme, als solche, ausdruͤcken lassen. So bezeichnete man z.E. Hoͤhe und Niedrigkeit vielleicht durch das Steigen und Fallen des Tons; Schnelligkeit und Langsamkeit einer Bewegung durch Schnelligkeit und Langsamkeit der Stimme. Ueberhaupt mochte die Art der Aussprache, der wir hier sehr unrecht den Namen Deklamation geben wuͤrden, bei den ersten Menschen oft den Mangel an Sprachwoͤrtern ersetzen helfen. Zur Bezeichnung solcher Praͤdikate sinnlicher Gegenstaͤnde, die den Geschmack, Geruch und zum Theil auch das Gefuͤhl des Menschen reitzten, hat man sich wahrscheinlich am laͤngsten der bloßen Zeichensprache bedient. Es ist merkwuͤrdig, daß wir mit dem Ausdruck jener Gegenstaͤnde, ob wir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0099" n="99"/><lb/> doch schon groß genug, sich wenigstens uͤber eine Klasse von Gegenstaͤnden ohne eine weitlaͤuftige Zeichensprache auszudruͤcken. </p> <p>Aber <hi rendition="#b">wie kamen</hi> die Menschen auf Substantive, Adjektive und Verben, die nicht hoͤrbare Gegenstaͤnde z.E. nur sichtbare bezeichneten, und wo die menschliche Stimme nichts nachzuahmen hatte? Hier wird die Erklaͤrung des Ursprungs der Woͤrter schon viel schwerer, und ich moͤchte behaupten, am allerschwersten. Hier stehen Gehoͤr und Gesicht nicht in der engen Verbindung mit einander, als Gehoͤr und Stimme, und doch ist es nicht ganz zu laͤugnen, daß sich Eigenschaften blos sichtbarer Gegenstaͤnde durch eine gewisse Beugung der Stimme, <hi rendition="#b">als solche,</hi> ausdruͤcken lassen. So bezeichnete man z.E. Hoͤhe und Niedrigkeit vielleicht durch das Steigen und Fallen des Tons; Schnelligkeit und Langsamkeit einer Bewegung durch Schnelligkeit und Langsamkeit der Stimme. </p> <p>Ueberhaupt mochte die Art der Aussprache, der wir hier sehr unrecht den Namen Deklamation geben wuͤrden, bei den ersten Menschen oft den Mangel an Sprachwoͤrtern ersetzen helfen. </p> <p><hi rendition="#b">Zur Bezeichnung</hi> solcher Praͤdikate sinnlicher Gegenstaͤnde, die den Geschmack, Geruch und zum Theil auch das Gefuͤhl des Menschen reitzten, hat man sich wahrscheinlich <hi rendition="#b">am laͤngsten</hi> der bloßen Zeichensprache bedient. Es ist merkwuͤrdig, daß wir mit dem Ausdruck jener Gegenstaͤnde, ob wir<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0099]
doch schon groß genug, sich wenigstens uͤber eine Klasse von Gegenstaͤnden ohne eine weitlaͤuftige Zeichensprache auszudruͤcken.
Aber wie kamen die Menschen auf Substantive, Adjektive und Verben, die nicht hoͤrbare Gegenstaͤnde z.E. nur sichtbare bezeichneten, und wo die menschliche Stimme nichts nachzuahmen hatte? Hier wird die Erklaͤrung des Ursprungs der Woͤrter schon viel schwerer, und ich moͤchte behaupten, am allerschwersten. Hier stehen Gehoͤr und Gesicht nicht in der engen Verbindung mit einander, als Gehoͤr und Stimme, und doch ist es nicht ganz zu laͤugnen, daß sich Eigenschaften blos sichtbarer Gegenstaͤnde durch eine gewisse Beugung der Stimme, als solche, ausdruͤcken lassen. So bezeichnete man z.E. Hoͤhe und Niedrigkeit vielleicht durch das Steigen und Fallen des Tons; Schnelligkeit und Langsamkeit einer Bewegung durch Schnelligkeit und Langsamkeit der Stimme.
Ueberhaupt mochte die Art der Aussprache, der wir hier sehr unrecht den Namen Deklamation geben wuͤrden, bei den ersten Menschen oft den Mangel an Sprachwoͤrtern ersetzen helfen.
Zur Bezeichnung solcher Praͤdikate sinnlicher Gegenstaͤnde, die den Geschmack, Geruch und zum Theil auch das Gefuͤhl des Menschen reitzten, hat man sich wahrscheinlich am laͤngsten der bloßen Zeichensprache bedient. Es ist merkwuͤrdig, daß wir mit dem Ausdruck jener Gegenstaͤnde, ob wir
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/99>, abgerufen am 05.07.2024. |