Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


gleich für sie und ihre Wirkungen auf unsere Sinnen, bestimmte Wörter haben, noch am meisten die Gesichts- und Zeichensprache verbinden; nicht so mit Bezeichnung blos sichtbarer und hörbarer Gegenstände.

Es können Jahrhunderte verflossen seyn, ehe die Menschen die bloße Pantomimensprache gegen die Wortsprache umtauschten, und in dem rohen Zustande der menschlichen Natur, wo die Menschen noch nicht so genau miteinander umgingen; sich noch keine geistigen Jdeen mitzutheilen hatten; nur ihrer Jnstinkte wegen miteinander zusammenkamen, war Pantomime für den Ausdruck ihrer Empfindungen und Gedanken auch zureichend genug -- selbst zureichend genug, als sie schon unter der Herrschaft eines Mächtigern zu stehen anfingen. Erst die genauere Verbindung miteinander in Familien, der nähere Umgang, den sie miteinander unterhielten, muß die Zeichensprache nach und nach verbannt haben. Der gesellig werdende Mensch will seine Gefühle, seine Entwürfe gern deutlicher andern mittheilen, als durch bloße Zeichen. Diese sind ihm nicht mehr zureichend genug, sich bei andern beliebt zu machen. Die väterliche und mütterliche Liebe braucht Ausdrücke des Mundes, den Geist geliebter Kinder zu bilden, und diese Liebe nebst der, welche beide Geschlechter für einander fühlten, waren sehr wahrscheinlich zwei große Beförderungsmittel der


gleich fuͤr sie und ihre Wirkungen auf unsere Sinnen, bestimmte Woͤrter haben, noch am meisten die Gesichts- und Zeichensprache verbinden; nicht so mit Bezeichnung blos sichtbarer und hoͤrbarer Gegenstaͤnde.

Es koͤnnen Jahrhunderte verflossen seyn, ehe die Menschen die bloße Pantomimensprache gegen die Wortsprache umtauschten, und in dem rohen Zustande der menschlichen Natur, wo die Menschen noch nicht so genau miteinander umgingen; sich noch keine geistigen Jdeen mitzutheilen hatten; nur ihrer Jnstinkte wegen miteinander zusammenkamen, war Pantomime fuͤr den Ausdruck ihrer Empfindungen und Gedanken auch zureichend genug ― selbst zureichend genug, als sie schon unter der Herrschaft eines Maͤchtigern zu stehen anfingen. Erst die genauere Verbindung miteinander in Familien, der naͤhere Umgang, den sie miteinander unterhielten, muß die Zeichensprache nach und nach verbannt haben. Der gesellig werdende Mensch will seine Gefuͤhle, seine Entwuͤrfe gern deutlicher andern mittheilen, als durch bloße Zeichen. Diese sind ihm nicht mehr zureichend genug, sich bei andern beliebt zu machen. Die vaͤterliche und muͤtterliche Liebe braucht Ausdruͤcke des Mundes, den Geist geliebter Kinder zu bilden, und diese Liebe nebst der, welche beide Geschlechter fuͤr einander fuͤhlten, waren sehr wahrscheinlich zwei große Befoͤrderungsmittel der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="100"/><lb/>
gleich fu&#x0364;r sie und ihre Wirkungen auf unsere Sinnen, bestimmte Wo&#x0364;rter                         haben, <hi rendition="#b">noch am meisten</hi> die Gesichts- und                         Zeichensprache verbinden; nicht so mit Bezeichnung blos sichtbarer und                         ho&#x0364;rbarer Gegensta&#x0364;nde. </p>
            <p>Es ko&#x0364;nnen <hi rendition="#b">Jahrhunderte</hi> verflossen seyn, ehe die                         Menschen die bloße Pantomimensprache gegen die Wortsprache umtauschten, und                         in dem rohen Zustande der menschlichen Natur, wo die Menschen noch <hi rendition="#b">nicht so genau</hi> miteinander umgingen; sich noch <hi rendition="#b">keine geistigen Jdeen</hi> mitzutheilen hatten; nur <hi rendition="#b">ihrer Jnstinkte</hi> wegen miteinander zusammenkamen, war                         Pantomime fu&#x0364;r den Ausdruck ihrer Empfindungen und Gedanken auch zureichend                         genug &#x2015; selbst zureichend genug, als sie schon unter der Herrschaft eines                         Ma&#x0364;chtigern zu stehen anfingen. Erst die genauere Verbindung miteinander in                         Familien, der na&#x0364;here Umgang, den sie miteinander unterhielten, muß die                         Zeichensprache nach und nach verbannt haben. Der <hi rendition="#b">gesellig                             werdende</hi> Mensch will seine Gefu&#x0364;hle, seine Entwu&#x0364;rfe gern                         deutlicher andern mittheilen, als durch bloße Zeichen. Diese sind ihm nicht                         mehr zureichend genug, sich bei andern beliebt zu machen. Die va&#x0364;terliche und                         mu&#x0364;tterliche Liebe braucht Ausdru&#x0364;cke des Mundes, den Geist geliebter Kinder                         zu bilden, und diese Liebe nebst der, welche beide Geschlechter fu&#x0364;r einander                         fu&#x0364;hlten, waren sehr wahrscheinlich <hi rendition="#b">zwei große                             Befo&#x0364;rderungsmittel der<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0100] gleich fuͤr sie und ihre Wirkungen auf unsere Sinnen, bestimmte Woͤrter haben, noch am meisten die Gesichts- und Zeichensprache verbinden; nicht so mit Bezeichnung blos sichtbarer und hoͤrbarer Gegenstaͤnde. Es koͤnnen Jahrhunderte verflossen seyn, ehe die Menschen die bloße Pantomimensprache gegen die Wortsprache umtauschten, und in dem rohen Zustande der menschlichen Natur, wo die Menschen noch nicht so genau miteinander umgingen; sich noch keine geistigen Jdeen mitzutheilen hatten; nur ihrer Jnstinkte wegen miteinander zusammenkamen, war Pantomime fuͤr den Ausdruck ihrer Empfindungen und Gedanken auch zureichend genug ― selbst zureichend genug, als sie schon unter der Herrschaft eines Maͤchtigern zu stehen anfingen. Erst die genauere Verbindung miteinander in Familien, der naͤhere Umgang, den sie miteinander unterhielten, muß die Zeichensprache nach und nach verbannt haben. Der gesellig werdende Mensch will seine Gefuͤhle, seine Entwuͤrfe gern deutlicher andern mittheilen, als durch bloße Zeichen. Diese sind ihm nicht mehr zureichend genug, sich bei andern beliebt zu machen. Die vaͤterliche und muͤtterliche Liebe braucht Ausdruͤcke des Mundes, den Geist geliebter Kinder zu bilden, und diese Liebe nebst der, welche beide Geschlechter fuͤr einander fuͤhlten, waren sehr wahrscheinlich zwei große Befoͤrderungsmittel der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/100
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/100>, abgerufen am 21.11.2024.