Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Das erste, was mir einfiel, war: ich wollte an ihre Großmutter einen rührenden Brief schreiben, und sie darinn bitten, Carolinen (so hieß sie) wieder anzunehmen. Jch entdeckte diesen Gedanken N**, und er hatte seinen ganzen Beifall. Wir arbeiteten gemeinschaftlich an den Briefen, und wir schrieben drei hintereinander ohne Antwort zu erhalten; das erschütterte sie tief. Wir besuchten sie gewöhnlich alle Abende; allein nach und nach wurde mir N**s Gegenwart lästig. Jch fühlte eifersüchtige Regungen auf die heftigste Art. Und ob sie mir gleich mit ganz vorzüglicher Achtung begegnete, so konnte ich doch nicht umhin, ihr oft merken zu lassen, daß ich N** fürchtete. Meine Eifersucht floß einmal aus einem gewissen Vorurtheil, welches ich, ich weiß nicht wo, aufgeschnapt hatte, daß ein Frauenzimmer, die einmal in den Geheimnissen der Liebe eingeweihet sei; einmal ihre Süßigkeiten gekostet habe -- auf ihr ganzes künftiges Leben nun nicht mehr im Stande sei, ihren Lockungen zu wiederstehen (ich mochte vermuthlich da von mir auf andre schließen) und das andremal floß sie aus einem gewissen Stolz: (beinahe die gewöhnlichste Quelle der Eifersucht) der sich gekränkt
Das erste, was mir einfiel, war: ich wollte an ihre Großmutter einen ruͤhrenden Brief schreiben, und sie darinn bitten, Carolinen (so hieß sie) wieder anzunehmen. Jch entdeckte diesen Gedanken N**, und er hatte seinen ganzen Beifall. Wir arbeiteten gemeinschaftlich an den Briefen, und wir schrieben drei hintereinander ohne Antwort zu erhalten; das erschuͤtterte sie tief. Wir besuchten sie gewoͤhnlich alle Abende; allein nach und nach wurde mir N**s Gegenwart laͤstig. Jch fuͤhlte eifersuͤchtige Regungen auf die heftigste Art. Und ob sie mir gleich mit ganz vorzuͤglicher Achtung begegnete, so konnte ich doch nicht umhin, ihr oft merken zu lassen, daß ich N** fuͤrchtete. Meine Eifersucht floß einmal aus einem gewissen Vorurtheil, welches ich, ich weiß nicht wo, aufgeschnapt hatte, daß ein Frauenzimmer, die einmal in den Geheimnissen der Liebe eingeweihet sei; einmal ihre Suͤßigkeiten gekostet habe ― auf ihr ganzes kuͤnftiges Leben nun nicht mehr im Stande sei, ihren Lockungen zu wiederstehen (ich mochte vermuthlich da von mir auf andre schließen) und das andremal floß sie aus einem gewissen Stolz: (beinahe die gewoͤhnlichste Quelle der Eifersucht) der sich gekraͤnkt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0064" n="64"/><lb/> liche Ergreifung und Durst nach solchen Abentheuern ― und man wird sich nicht mehr wundern, wenn ich sage, daß mein Mitleid sich bald in Liebe verwandelte ― und fuͤr sie thaͤtig werden zu koͤnnen wuͤnschte. </p> <p>Das erste, was mir einfiel, war: ich wollte an ihre Großmutter einen ruͤhrenden Brief schreiben, und sie darinn bitten, Carolinen (so hieß sie) wieder anzunehmen. Jch entdeckte diesen Gedanken N**, und er hatte seinen ganzen Beifall. Wir arbeiteten gemeinschaftlich an den Briefen, und wir schrieben drei hintereinander ohne Antwort zu erhalten; das erschuͤtterte sie tief. Wir besuchten sie gewoͤhnlich alle Abende; allein nach und nach wurde mir N**s Gegenwart laͤstig. Jch fuͤhlte eifersuͤchtige Regungen auf die heftigste Art. Und ob sie mir gleich mit ganz vorzuͤglicher Achtung begegnete, so konnte ich doch nicht umhin, ihr oft merken zu lassen, daß ich N** fuͤrchtete. Meine Eifersucht floß <hi rendition="#b">einmal</hi> aus einem gewissen Vorurtheil, welches ich, ich weiß nicht wo, aufgeschnapt hatte, daß ein Frauenzimmer, die einmal in den Geheimnissen der Liebe eingeweihet sei; einmal ihre Suͤßigkeiten gekostet habe ― auf ihr ganzes kuͤnftiges Leben nun nicht mehr im Stande sei, ihren Lockungen zu wiederstehen (ich mochte vermuthlich da von mir auf andre schließen) und das <hi rendition="#b">andremal</hi> floß sie aus einem gewissen Stolz: (beinahe die gewoͤhnlichste Quelle der Eifersucht) der sich gekraͤnkt<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0064]
liche Ergreifung und Durst nach solchen Abentheuern ― und man wird sich nicht mehr wundern, wenn ich sage, daß mein Mitleid sich bald in Liebe verwandelte ― und fuͤr sie thaͤtig werden zu koͤnnen wuͤnschte.
Das erste, was mir einfiel, war: ich wollte an ihre Großmutter einen ruͤhrenden Brief schreiben, und sie darinn bitten, Carolinen (so hieß sie) wieder anzunehmen. Jch entdeckte diesen Gedanken N**, und er hatte seinen ganzen Beifall. Wir arbeiteten gemeinschaftlich an den Briefen, und wir schrieben drei hintereinander ohne Antwort zu erhalten; das erschuͤtterte sie tief. Wir besuchten sie gewoͤhnlich alle Abende; allein nach und nach wurde mir N**s Gegenwart laͤstig. Jch fuͤhlte eifersuͤchtige Regungen auf die heftigste Art. Und ob sie mir gleich mit ganz vorzuͤglicher Achtung begegnete, so konnte ich doch nicht umhin, ihr oft merken zu lassen, daß ich N** fuͤrchtete. Meine Eifersucht floß einmal aus einem gewissen Vorurtheil, welches ich, ich weiß nicht wo, aufgeschnapt hatte, daß ein Frauenzimmer, die einmal in den Geheimnissen der Liebe eingeweihet sei; einmal ihre Suͤßigkeiten gekostet habe ― auf ihr ganzes kuͤnftiges Leben nun nicht mehr im Stande sei, ihren Lockungen zu wiederstehen (ich mochte vermuthlich da von mir auf andre schließen) und das andremal floß sie aus einem gewissen Stolz: (beinahe die gewoͤhnlichste Quelle der Eifersucht) der sich gekraͤnkt
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/64>, abgerufen am 26.07.2024. |