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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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Rath gegeben, zu einer gewissen Kuplerin zu gehen -- dieß hätte sie aus Noth gethan, und -- ein gewisser H** hätte sie also ausgelößt. -- Darauf sei sie nach Leipzig gegangen, wo sie sich hätte vermiethen wollen; sie sei aber -- in ein Bordell gerathen. Da sei sie bald angesteckt worden und ins Lazareth gekommen. Sie sei aber, da ihre Krankheit noch nicht viel zu bedeuten gehabt, glücklich kurirt worden, und wäre nun hieher gekommen, um auf eine ehrlichere Art ihr Unterkommen zu finden. Jetzt hielte sie sich bei einem gewissen Wollwirker auf; und sei nun erst seit acht Tagen hier. Sie äußerte zugleich den Wunsch: wieder zu ihrer Großmutter zurückzukehren.

Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich überein. -- Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der übrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Mädchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld -- Thränen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemüthsstimmung, die selbst so tief fühlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz-


Rath gegeben, zu einer gewissen Kuplerin zu gehen ― dieß haͤtte sie aus Noth gethan, und ― ein gewisser H** haͤtte sie also ausgeloͤßt. ― Darauf sei sie nach Leipzig gegangen, wo sie sich haͤtte vermiethen wollen; sie sei aber ― in ein Bordell gerathen. Da sei sie bald angesteckt worden und ins Lazareth gekommen. Sie sei aber, da ihre Krankheit noch nicht viel zu bedeuten gehabt, gluͤcklich kurirt worden, und waͤre nun hieher gekommen, um auf eine ehrlichere Art ihr Unterkommen zu finden. Jetzt hielte sie sich bei einem gewissen Wollwirker auf; und sei nun erst seit acht Tagen hier. Sie aͤußerte zugleich den Wunsch: wieder zu ihrer Großmutter zuruͤckzukehren.

Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich uͤberein. ― Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der uͤbrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Maͤdchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld ― Thraͤnen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemuͤthsstimmung, die selbst so tief fuͤhlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz-

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[63/0063] Rath gegeben, zu einer gewissen Kuplerin zu gehen ― dieß haͤtte sie aus Noth gethan, und ― ein gewisser H** haͤtte sie also ausgeloͤßt. ― Darauf sei sie nach Leipzig gegangen, wo sie sich haͤtte vermiethen wollen; sie sei aber ― in ein Bordell gerathen. Da sei sie bald angesteckt worden und ins Lazareth gekommen. Sie sei aber, da ihre Krankheit noch nicht viel zu bedeuten gehabt, gluͤcklich kurirt worden, und waͤre nun hieher gekommen, um auf eine ehrlichere Art ihr Unterkommen zu finden. Jetzt hielte sie sich bei einem gewissen Wollwirker auf; und sei nun erst seit acht Tagen hier. Sie aͤußerte zugleich den Wunsch: wieder zu ihrer Großmutter zuruͤckzukehren. Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich uͤberein. ― Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der uͤbrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Maͤdchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld ― Thraͤnen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemuͤthsstimmung, die selbst so tief fuͤhlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/63>, abgerufen am 24.11.2024.