Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich überein. -- Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der übrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Mädchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld -- Thränen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemüthsstimmung, die selbst so tief fühlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz-
Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich uͤberein. ― Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der uͤbrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Maͤdchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld ― Thraͤnen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemuͤthsstimmung, die selbst so tief fuͤhlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0063" n="63"/><lb/> Rath gegeben, zu einer gewissen Kuplerin zu gehen ― dieß haͤtte sie aus Noth gethan, und ― ein gewisser H** haͤtte sie also ausgeloͤßt. ― Darauf sei sie nach Leipzig gegangen, wo sie sich haͤtte vermiethen wollen; sie sei aber ― in ein Bordell gerathen. Da sei sie bald angesteckt worden und ins Lazareth gekommen. Sie sei aber, da ihre Krankheit noch nicht viel zu bedeuten gehabt, gluͤcklich kurirt worden, und waͤre nun hieher gekommen, um auf eine ehrlichere Art ihr Unterkommen zu finden. Jetzt hielte sie sich bei einem gewissen Wollwirker auf; und sei nun erst seit acht Tagen hier. Sie aͤußerte zugleich den Wunsch: wieder zu ihrer Großmutter zuruͤckzukehren. </p> <p>Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich uͤberein. ― Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der uͤbrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Maͤdchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld ― Thraͤnen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemuͤthsstimmung, die selbst so tief fuͤhlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0063]
Rath gegeben, zu einer gewissen Kuplerin zu gehen ― dieß haͤtte sie aus Noth gethan, und ― ein gewisser H** haͤtte sie also ausgeloͤßt. ― Darauf sei sie nach Leipzig gegangen, wo sie sich haͤtte vermiethen wollen; sie sei aber ― in ein Bordell gerathen. Da sei sie bald angesteckt worden und ins Lazareth gekommen. Sie sei aber, da ihre Krankheit noch nicht viel zu bedeuten gehabt, gluͤcklich kurirt worden, und waͤre nun hieher gekommen, um auf eine ehrlichere Art ihr Unterkommen zu finden. Jetzt hielte sie sich bei einem gewissen Wollwirker auf; und sei nun erst seit acht Tagen hier. Sie aͤußerte zugleich den Wunsch: wieder zu ihrer Großmutter zuruͤckzukehren.
Diese ganze Erzehlung kam mir im Anfange ziemlich romanhaft vor. Allein in der Folge lernte ich einen Landsmann von ihr kennen, der ihre ganze Herkunft genau kannte, und ihre Erzehlung stimmte mit dessen Aussage ziemlich uͤberein. ― Wiewohl ich auch eigentlich nicht an der uͤbrigen Erzehlung zweifelte, sondern nur an ihrer Herkunft. Man denke sich nun ein Maͤdchen sehr gut gebauet; in ihrer Miene noch unverkennbare Spuren noch nicht ganz verlorner Unschuld ― Thraͤnen in einem sehr sanften blauen Auge; dann meine damalige Gemuͤthsstimmung, die selbst so tief fuͤhlte, was Leiden und Verlassung von allen Lebendigen war. Dann mein ohnedem mitleidiges Herz. Man rechne noch dazu meine romantische Begriffe, herz-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |