Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


da es mir an Gelegenheit fehlte, so war mein Leben ziemlich einförmig. Jch hatte auch zu viel mit meiner Armuth und Bedürfnissen zu kämpfen, daß ich daher selten daran dachte. Dabei las ich viel, und da ich -- so flüchtig ich auch bin -- mit ganzer Seele beim Lesen bin, sobald mich der Gegenstand nur interessirt, so war meine Seele immer zufrieden, und ich habe bemerkt, daß ich nur dann am ersten mich verirrte, sobald ich geschäftloß war.

Jetzt hatte ich in langer Zeit nichts mehr zu schreiben gehabt, und die Noth und der Mangel drängten sich wieder von allen Seiten herein. Wir hatten oft in zwei Tagen kein Brod. Jch wußte nicht mehr, was ich anfangen sollte. Jch sann auf Mittel, meiner Noth ein Ende zu machen, und doch wußte ich nicht, wie? Endlich entschloß ich mich, Schulhalter zu werden. Jch entdeckte mich Herrn P** und dieser wirkte mir die Erlaubniß aus. Jm Anfang ging es recht gut; ich hatte den Winter durch über vierzig Kinder. Zwei Monathe lang bekam ich mein Geld so ziemlich richtig, so, daß ich ungefähr wöchentlich 1 Rthlr. einnahm. Davon mußte ich aber wöchentlich 6 Gr. für die Stube geben, die ich gemiethet hatte. Von achtzehn Groschen sollten nun drei Personen leben; ich sollte mich kleiden. Den ganzen Tag mußte ich darauf wenden; nebenbei konnte ich nichts verdienen. Und wenn die Stunden vorbei waren, war ich müd' und verdrossen. Zwei, höchstens drei Tage hatte


da es mir an Gelegenheit fehlte, so war mein Leben ziemlich einfoͤrmig. Jch hatte auch zu viel mit meiner Armuth und Beduͤrfnissen zu kaͤmpfen, daß ich daher selten daran dachte. Dabei las ich viel, und da ich ― so fluͤchtig ich auch bin ― mit ganzer Seele beim Lesen bin, sobald mich der Gegenstand nur interessirt, so war meine Seele immer zufrieden, und ich habe bemerkt, daß ich nur dann am ersten mich verirrte, sobald ich geschaͤftloß war.

Jetzt hatte ich in langer Zeit nichts mehr zu schreiben gehabt, und die Noth und der Mangel draͤngten sich wieder von allen Seiten herein. Wir hatten oft in zwei Tagen kein Brod. Jch wußte nicht mehr, was ich anfangen sollte. Jch sann auf Mittel, meiner Noth ein Ende zu machen, und doch wußte ich nicht, wie? Endlich entschloß ich mich, Schulhalter zu werden. Jch entdeckte mich Herrn P** und dieser wirkte mir die Erlaubniß aus. Jm Anfang ging es recht gut; ich hatte den Winter durch uͤber vierzig Kinder. Zwei Monathe lang bekam ich mein Geld so ziemlich richtig, so, daß ich ungefaͤhr woͤchentlich 1 Rthlr. einnahm. Davon mußte ich aber woͤchentlich 6 Gr. fuͤr die Stube geben, die ich gemiethet hatte. Von achtzehn Groschen sollten nun drei Personen leben; ich sollte mich kleiden. Den ganzen Tag mußte ich darauf wenden; nebenbei konnte ich nichts verdienen. Und wenn die Stunden vorbei waren, war ich muͤd' und verdrossen. Zwei, hoͤchstens drei Tage hatte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="59"/><lb/>
da es mir an Gelegenheit fehlte, so                         war mein Leben ziemlich einfo&#x0364;rmig. Jch hatte auch zu viel mit meiner Armuth                         und Bedu&#x0364;rfnissen zu ka&#x0364;mpfen, daß ich daher selten daran dachte. Dabei las                         ich viel, und da ich &#x2015; so flu&#x0364;chtig ich auch bin &#x2015; mit ganzer Seele beim                         Lesen bin, sobald mich der Gegenstand nur interessirt, so war meine Seele                         immer zufrieden, und ich habe bemerkt, daß ich nur dann am ersten mich                         verirrte, sobald ich gescha&#x0364;ftloß war. </p>
            <p>Jetzt hatte ich in langer Zeit nichts mehr zu schreiben gehabt, und die Noth                         und der Mangel dra&#x0364;ngten sich wieder von allen Seiten herein. Wir hatten oft                         in zwei Tagen kein Brod. Jch wußte nicht mehr, was ich anfangen sollte. Jch                         sann auf Mittel, meiner Noth ein Ende zu machen, und doch wußte ich nicht,                         wie? Endlich entschloß ich mich, Schulhalter zu werden. Jch entdeckte mich                         Herrn P** und dieser wirkte mir die Erlaubniß aus. Jm Anfang ging es recht                         gut; ich hatte den Winter durch u&#x0364;ber vierzig Kinder. Zwei Monathe lang bekam                         ich mein Geld so ziemlich richtig, so, daß ich ungefa&#x0364;hr wo&#x0364;chentlich 1 Rthlr.                         einnahm. Davon mußte ich aber wo&#x0364;chentlich 6 Gr. fu&#x0364;r die Stube geben, die ich                         gemiethet hatte. Von achtzehn Groschen sollten nun drei Personen leben; ich                         sollte mich kleiden. Den ganzen Tag mußte ich darauf wenden; nebenbei konnte                         ich nichts verdienen. Und wenn die Stunden vorbei waren, war ich mu&#x0364;d' und                         verdrossen. Zwei, ho&#x0364;chstens drei Tage hatte<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0059] da es mir an Gelegenheit fehlte, so war mein Leben ziemlich einfoͤrmig. Jch hatte auch zu viel mit meiner Armuth und Beduͤrfnissen zu kaͤmpfen, daß ich daher selten daran dachte. Dabei las ich viel, und da ich ― so fluͤchtig ich auch bin ― mit ganzer Seele beim Lesen bin, sobald mich der Gegenstand nur interessirt, so war meine Seele immer zufrieden, und ich habe bemerkt, daß ich nur dann am ersten mich verirrte, sobald ich geschaͤftloß war. Jetzt hatte ich in langer Zeit nichts mehr zu schreiben gehabt, und die Noth und der Mangel draͤngten sich wieder von allen Seiten herein. Wir hatten oft in zwei Tagen kein Brod. Jch wußte nicht mehr, was ich anfangen sollte. Jch sann auf Mittel, meiner Noth ein Ende zu machen, und doch wußte ich nicht, wie? Endlich entschloß ich mich, Schulhalter zu werden. Jch entdeckte mich Herrn P** und dieser wirkte mir die Erlaubniß aus. Jm Anfang ging es recht gut; ich hatte den Winter durch uͤber vierzig Kinder. Zwei Monathe lang bekam ich mein Geld so ziemlich richtig, so, daß ich ungefaͤhr woͤchentlich 1 Rthlr. einnahm. Davon mußte ich aber woͤchentlich 6 Gr. fuͤr die Stube geben, die ich gemiethet hatte. Von achtzehn Groschen sollten nun drei Personen leben; ich sollte mich kleiden. Den ganzen Tag mußte ich darauf wenden; nebenbei konnte ich nichts verdienen. Und wenn die Stunden vorbei waren, war ich muͤd' und verdrossen. Zwei, hoͤchstens drei Tage hatte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/59
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/59>, abgerufen am 21.11.2024.