Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.Schwer wurde es meinen Freunden, mich so weit zu besänftigen, daß ich, in Ermangelung einer andern, die Gegenwart der Frau, doch nur in einer gewissen Entfernung duldete. Mein Vater, der nun einmal böse war, besuchte mich nicht, verkaufte mir aber durch einen dritten um einen billigen Preis seine Pferde. Dieses war mir um desto empfindlicher, weil ich überzeugt war, daß ich, unter andern Umständen, gar nichts, oder doch weniger dafür hätte bezahlen dürfen. Jch glaubte -- wieder besser, und meinen Geschäften vorzustehn, im Stande zu seyn, konnte aber, zu meinem Verdruß, den Abschied nicht erhalten, weil die Menge der Kranken sehr groß und an Aerzten ein Mangel war. Man sendete mich zum Lazareth nach Brieg, dahin ich auf einem Wagen allein abfuhr, indem ich die Funktion des Kutschers selbst übernahm. Unterwegs fiel mir der Gedanke ein, die Gegend zu besehen. Ohne meine Pferde im mindesten zu schonen, fuhr ich Bergauf Bergnieder, bis ich endlich müde und matt auf einer grossen Eisstrecke, nahe an der Meerenge von Novazembla, mich befand. Jn dieser kalten Gegend erwachte das Gewissen. Mit Verdruß übersah ich die grosse Strecke Landes bis Neisse hin. Eine Menge Städte und Dörfer lagen da ganz klein, doch deutlich, wie an Schwer wurde es meinen Freunden, mich so weit zu besaͤnftigen, daß ich, in Ermangelung einer andern, die Gegenwart der Frau, doch nur in einer gewissen Entfernung duldete. Mein Vater, der nun einmal boͤse war, besuchte mich nicht, verkaufte mir aber durch einen dritten um einen billigen Preis seine Pferde. Dieses war mir um desto empfindlicher, weil ich uͤberzeugt war, daß ich, unter andern Umstaͤnden, gar nichts, oder doch weniger dafuͤr haͤtte bezahlen duͤrfen. Jch glaubte ― wieder besser, und meinen Geschaͤften vorzustehn, im Stande zu seyn, konnte aber, zu meinem Verdruß, den Abschied nicht erhalten, weil die Menge der Kranken sehr groß und an Aerzten ein Mangel war. Man sendete mich zum Lazareth nach Brieg, dahin ich auf einem Wagen allein abfuhr, indem ich die Funktion des Kutschers selbst uͤbernahm. Unterwegs fiel mir der Gedanke ein, die Gegend zu besehen. Ohne meine Pferde im mindesten zu schonen, fuhr ich Bergauf Bergnieder, bis ich endlich muͤde und matt auf einer grossen Eisstrecke, nahe an der Meerenge von Novazembla, mich befand. Jn dieser kalten Gegend erwachte das Gewissen. Mit Verdruß uͤbersah ich die grosse Strecke Landes bis Neisse hin. Eine Menge Staͤdte und Doͤrfer lagen da ganz klein, doch deutlich, wie an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0005" n="5"/><lb/> <p>Schwer wurde es meinen Freunden, mich so weit zu besaͤnftigen, daß ich, in Ermangelung einer andern, die Gegenwart der Frau, doch nur in einer gewissen Entfernung duldete. </p> <p>Mein Vater, der nun einmal boͤse war, besuchte mich nicht, verkaufte mir aber durch einen dritten um einen billigen Preis seine Pferde. </p> <p>Dieses war mir um desto empfindlicher, weil ich uͤberzeugt war, daß ich, unter andern Umstaͤnden, gar nichts, oder doch weniger dafuͤr haͤtte bezahlen duͤrfen. </p> <p>Jch glaubte ― wieder besser, und meinen Geschaͤften vorzustehn, im Stande zu seyn, konnte aber, zu meinem Verdruß, den Abschied nicht erhalten, weil die Menge der Kranken sehr groß und an Aerzten ein Mangel war. </p> <p>Man sendete mich zum Lazareth nach Brieg, dahin ich auf einem Wagen allein abfuhr, indem ich die Funktion des Kutschers selbst uͤbernahm. </p> <p>Unterwegs fiel mir der Gedanke ein, die Gegend zu besehen. Ohne meine Pferde im mindesten zu schonen, fuhr ich Bergauf Bergnieder, bis ich endlich muͤde und matt auf einer grossen Eisstrecke, nahe an der Meerenge von Novazembla, mich befand. </p> <p>Jn dieser kalten Gegend erwachte das Gewissen. Mit Verdruß uͤbersah ich die grosse Strecke Landes bis Neisse hin. Eine Menge Staͤdte und Doͤrfer lagen da ganz klein, doch deutlich, wie an<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0005]
Schwer wurde es meinen Freunden, mich so weit zu besaͤnftigen, daß ich, in Ermangelung einer andern, die Gegenwart der Frau, doch nur in einer gewissen Entfernung duldete.
Mein Vater, der nun einmal boͤse war, besuchte mich nicht, verkaufte mir aber durch einen dritten um einen billigen Preis seine Pferde.
Dieses war mir um desto empfindlicher, weil ich uͤberzeugt war, daß ich, unter andern Umstaͤnden, gar nichts, oder doch weniger dafuͤr haͤtte bezahlen duͤrfen.
Jch glaubte ― wieder besser, und meinen Geschaͤften vorzustehn, im Stande zu seyn, konnte aber, zu meinem Verdruß, den Abschied nicht erhalten, weil die Menge der Kranken sehr groß und an Aerzten ein Mangel war.
Man sendete mich zum Lazareth nach Brieg, dahin ich auf einem Wagen allein abfuhr, indem ich die Funktion des Kutschers selbst uͤbernahm.
Unterwegs fiel mir der Gedanke ein, die Gegend zu besehen. Ohne meine Pferde im mindesten zu schonen, fuhr ich Bergauf Bergnieder, bis ich endlich muͤde und matt auf einer grossen Eisstrecke, nahe an der Meerenge von Novazembla, mich befand.
Jn dieser kalten Gegend erwachte das Gewissen. Mit Verdruß uͤbersah ich die grosse Strecke Landes bis Neisse hin. Eine Menge Staͤdte und Doͤrfer lagen da ganz klein, doch deutlich, wie an
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/5 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/5>, abgerufen am 05.07.2024. |