Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.Er sagte mir einige Ursachen, die ihn bewogen hätten, mit meiner Mutter, meinen Geschwistern, einigen Personen aus meinem Vaterlande und einigen aus Berlin (diese letztern hatten mir vorher viele Freundschaft erwiesen) nach Neisse zu kommen. Nun wurde der rechtschafne Vater meine unanständige Kleidung gewahr, wendete sich, ohne ein Wort weiter zu reden, von mir und ging in seine Wohnung. Dies machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich mich nach Hause begab, mit der festen Entschließung, nach meiner Wiederherstellung den Abschied zu nehmen, um dadurch der Schande zu entweichen. Die arme Frau ließ ich nun, unter den heftigsten Verwünschungen, meinen Zorn empfinden. (Jch habe vielfältig bemerkt, daß Leute, die im gesunden Zustande frey von der Thorheit des Fluchens sind, einen Hang dazu bekommen, wenn ihr Verstand verrückt wird. Andre, denen diese besondre Art zu sprechen von Kindheit an zur Gewohnheit geworden war, haben in solchen Umständen mich und die verwunderten Umstehenden durch erbauliche Gebete gerührt.) Mein Eifer würde der Frau das Leben gekostet haben, wenn man nicht die nöthigen Anstalten getroffen hätte. Jch wüthete; aber die Vorstellung von Schande erstickte, so daß ich's selbst gewahr wurde, alles Religionsgefühl. Er sagte mir einige Ursachen, die ihn bewogen haͤtten, mit meiner Mutter, meinen Geschwistern, einigen Personen aus meinem Vaterlande und einigen aus Berlin (diese letztern hatten mir vorher viele Freundschaft erwiesen) nach Neisse zu kommen. Nun wurde der rechtschafne Vater meine unanstaͤndige Kleidung gewahr, wendete sich, ohne ein Wort weiter zu reden, von mir und ging in seine Wohnung. Dies machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich mich nach Hause begab, mit der festen Entschließung, nach meiner Wiederherstellung den Abschied zu nehmen, um dadurch der Schande zu entweichen. Die arme Frau ließ ich nun, unter den heftigsten Verwuͤnschungen, meinen Zorn empfinden. (Jch habe vielfaͤltig bemerkt, daß Leute, die im gesunden Zustande frey von der Thorheit des Fluchens sind, einen Hang dazu bekommen, wenn ihr Verstand verruͤckt wird. Andre, denen diese besondre Art zu sprechen von Kindheit an zur Gewohnheit geworden war, haben in solchen Umstaͤnden mich und die verwunderten Umstehenden durch erbauliche Gebete geruͤhrt.) Mein Eifer wuͤrde der Frau das Leben gekostet haben, wenn man nicht die noͤthigen Anstalten getroffen haͤtte. Jch wuͤthete; aber die Vorstellung von Schande erstickte, so daß ich's selbst gewahr wurde, alles Religionsgefuͤhl. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0004" n="4"/><lb/> <p>Er sagte mir einige Ursachen, die ihn bewogen haͤtten, mit meiner Mutter, meinen Geschwistern, einigen Personen aus meinem Vaterlande und einigen aus Berlin (diese letztern hatten mir vorher viele Freundschaft erwiesen) nach Neisse zu kommen. Nun wurde der rechtschafne Vater meine unanstaͤndige Kleidung gewahr, wendete sich, ohne ein Wort weiter zu reden, von mir und ging in seine Wohnung. </p> <p>Dies machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich mich nach Hause begab, mit der festen Entschließung, nach meiner Wiederherstellung den Abschied zu nehmen, um dadurch der Schande zu entweichen. </p> <p>Die arme Frau ließ ich nun, unter den heftigsten Verwuͤnschungen, meinen Zorn empfinden. (Jch habe vielfaͤltig bemerkt, daß Leute, die im gesunden Zustande frey von der Thorheit des Fluchens sind, einen Hang dazu bekommen, wenn ihr Verstand verruͤckt wird. Andre, denen diese besondre Art zu sprechen von Kindheit an zur Gewohnheit geworden war, haben in solchen Umstaͤnden mich und die verwunderten Umstehenden durch erbauliche Gebete geruͤhrt.) </p> <p>Mein Eifer wuͤrde der Frau das Leben gekostet haben, wenn man nicht die noͤthigen Anstalten getroffen haͤtte. Jch wuͤthete; aber die Vorstellung von Schande erstickte, so daß ich's selbst gewahr wurde, alles Religionsgefuͤhl. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0004]
Er sagte mir einige Ursachen, die ihn bewogen haͤtten, mit meiner Mutter, meinen Geschwistern, einigen Personen aus meinem Vaterlande und einigen aus Berlin (diese letztern hatten mir vorher viele Freundschaft erwiesen) nach Neisse zu kommen. Nun wurde der rechtschafne Vater meine unanstaͤndige Kleidung gewahr, wendete sich, ohne ein Wort weiter zu reden, von mir und ging in seine Wohnung.
Dies machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich mich nach Hause begab, mit der festen Entschließung, nach meiner Wiederherstellung den Abschied zu nehmen, um dadurch der Schande zu entweichen.
Die arme Frau ließ ich nun, unter den heftigsten Verwuͤnschungen, meinen Zorn empfinden. (Jch habe vielfaͤltig bemerkt, daß Leute, die im gesunden Zustande frey von der Thorheit des Fluchens sind, einen Hang dazu bekommen, wenn ihr Verstand verruͤckt wird. Andre, denen diese besondre Art zu sprechen von Kindheit an zur Gewohnheit geworden war, haben in solchen Umstaͤnden mich und die verwunderten Umstehenden durch erbauliche Gebete geruͤhrt.)
Mein Eifer wuͤrde der Frau das Leben gekostet haben, wenn man nicht die noͤthigen Anstalten getroffen haͤtte. Jch wuͤthete; aber die Vorstellung von Schande erstickte, so daß ich's selbst gewahr wurde, alles Religionsgefuͤhl.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/4>, abgerufen am 05.07.2024. |