Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.Wir waren noch drei Schritte weiter, und um die Ecke gegangen, als Herr Bertuch mit einemmale vor uns stand, ob ich gleich weder wußte noch vermuthet hatte, daß er in Leipzig sey. Meine Frau, zu der ich einen Augenblick zuvor gesagt hatte: "Es ist mir, als wenn ich Bertuch hier treffen würde;" erstaunte über den seltsamen Zufall noch mehr als ich selbst. Umgekehrt hingegen, habe ich mit Herrn Bertuch im Mai dieses Jahres, zu Leipzig, bei Zimmermann im Joachimsthale, an Einem Tische gespeiset, nicht weit von ihm gesessen, und wir sind von einander gegangen, ohne ein Wort davon zu wissen, daß wir uns am Mittage so nahe gewesen waren; am Abend erst wurden wir beide überzeugt, daß die Sache ihre Richtigkeit habe. Jn diesem Ahndungsvermögen habe ich nie etwas wunderbares gesucht, denn ich bin in dem Punkte so ungläubig, und halte von Ahndungen, Visionen etc. so wenig, daß ich lieber zu jeder andern Erklärungsart meine Zuflucht nehmen, als glauben würde, meine Seele habe ein privatives Vermögen in diesem Stücke. Vielleicht lassen sich auch diese Ahndungen physisch und ganz natürlich erklären. Jch habe von Natur einen so feinen Geruch, daß selbst der mehr als 20jährige häufigste Gebrauch des Schnupftobacks die Geruchnerven nicht ganz hat verderben können; denn ich finde, daß ich ein einzelnes Veil- Wir waren noch drei Schritte weiter, und um die Ecke gegangen, als Herr Bertuch mit einemmale vor uns stand, ob ich gleich weder wußte noch vermuthet hatte, daß er in Leipzig sey. Meine Frau, zu der ich einen Augenblick zuvor gesagt hatte: »Es ist mir, als wenn ich Bertuch hier treffen wuͤrde;« erstaunte uͤber den seltsamen Zufall noch mehr als ich selbst. Umgekehrt hingegen, habe ich mit Herrn Bertuch im Mai dieses Jahres, zu Leipzig, bei Zimmermann im Joachimsthale, an Einem Tische gespeiset, nicht weit von ihm gesessen, und wir sind von einander gegangen, ohne ein Wort davon zu wissen, daß wir uns am Mittage so nahe gewesen waren; am Abend erst wurden wir beide uͤberzeugt, daß die Sache ihre Richtigkeit habe. Jn diesem Ahndungsvermoͤgen habe ich nie etwas wunderbares gesucht, denn ich bin in dem Punkte so unglaͤubig, und halte von Ahndungen, Visionen etc. so wenig, daß ich lieber zu jeder andern Erklaͤrungsart meine Zuflucht nehmen, als glauben wuͤrde, meine Seele habe ein privatives Vermoͤgen in diesem Stuͤcke. Vielleicht lassen sich auch diese Ahndungen physisch und ganz natuͤrlich erklaͤren. Jch habe von Natur einen so feinen Geruch, daß selbst der mehr als 20jaͤhrige haͤufigste Gebrauch des Schnupftobacks die Geruchnerven nicht ganz hat verderben koͤnnen; denn ich finde, daß ich ein einzelnes Veil- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0119" n="119"/><lb/> <p>Wir waren noch drei Schritte weiter, und um die Ecke gegangen, als Herr <hi rendition="#b">Bertuch</hi> mit einemmale vor uns stand, ob ich gleich weder wußte noch vermuthet hatte, daß er in Leipzig sey. </p> <p>Meine Frau, zu der ich einen Augenblick zuvor gesagt hatte: »Es ist mir, als wenn ich <hi rendition="#b">Bertuch</hi> hier treffen wuͤrde;« erstaunte uͤber den seltsamen Zufall noch mehr als ich selbst. </p> <p>Umgekehrt hingegen, habe ich mit Herrn <hi rendition="#b">Bertuch</hi> im Mai dieses Jahres, zu Leipzig, bei <hi rendition="#b">Zimmermann</hi> im Joachimsthale, an Einem Tische gespeiset, nicht weit von ihm gesessen, und wir sind von einander gegangen, ohne ein Wort davon zu wissen, daß wir uns am Mittage so nahe gewesen waren; am Abend erst wurden wir beide uͤberzeugt, daß die Sache ihre Richtigkeit habe. </p> <p>Jn diesem Ahndungsvermoͤgen habe ich nie etwas wunderbares gesucht, denn ich bin in dem Punkte so unglaͤubig, und halte von Ahndungen, Visionen etc. so wenig, daß ich lieber zu jeder andern Erklaͤrungsart meine Zuflucht nehmen, als glauben wuͤrde, meine <hi rendition="#b">Seele</hi> habe ein privatives Vermoͤgen in diesem Stuͤcke. </p> <p>Vielleicht lassen sich auch diese Ahndungen physisch und ganz natuͤrlich erklaͤren. Jch habe von Natur einen so feinen Geruch, daß selbst der mehr als 20jaͤhrige haͤufigste Gebrauch des Schnupftobacks die Geruchnerven nicht ganz hat verderben koͤnnen; denn ich finde, daß ich ein einzelnes Veil-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0119]
Wir waren noch drei Schritte weiter, und um die Ecke gegangen, als Herr Bertuch mit einemmale vor uns stand, ob ich gleich weder wußte noch vermuthet hatte, daß er in Leipzig sey.
Meine Frau, zu der ich einen Augenblick zuvor gesagt hatte: »Es ist mir, als wenn ich Bertuch hier treffen wuͤrde;« erstaunte uͤber den seltsamen Zufall noch mehr als ich selbst.
Umgekehrt hingegen, habe ich mit Herrn Bertuch im Mai dieses Jahres, zu Leipzig, bei Zimmermann im Joachimsthale, an Einem Tische gespeiset, nicht weit von ihm gesessen, und wir sind von einander gegangen, ohne ein Wort davon zu wissen, daß wir uns am Mittage so nahe gewesen waren; am Abend erst wurden wir beide uͤberzeugt, daß die Sache ihre Richtigkeit habe.
Jn diesem Ahndungsvermoͤgen habe ich nie etwas wunderbares gesucht, denn ich bin in dem Punkte so unglaͤubig, und halte von Ahndungen, Visionen etc. so wenig, daß ich lieber zu jeder andern Erklaͤrungsart meine Zuflucht nehmen, als glauben wuͤrde, meine Seele habe ein privatives Vermoͤgen in diesem Stuͤcke.
Vielleicht lassen sich auch diese Ahndungen physisch und ganz natuͤrlich erklaͤren. Jch habe von Natur einen so feinen Geruch, daß selbst der mehr als 20jaͤhrige haͤufigste Gebrauch des Schnupftobacks die Geruchnerven nicht ganz hat verderben koͤnnen; denn ich finde, daß ich ein einzelnes Veil-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/119>, abgerufen am 26.07.2024. |