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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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angenommen haben, oder ob sie sich bei Annahme derselben nach gewissen vorherbestimmten Sprachgesetzen, nach einem vorhandenen Gefühl von Harmonie oder Uebelklang des Worts für diese oder jene Tugend, oder nach andern Nebenumständen gerichtet haben. Dies sind Geheimnisse, die kein menschlicher Scharfsinn je ganz aufdecken wird.

Auch kann es nicht geläugnet werden, daß die ersten Spracherfinder abstrakter Ausdrücke, sich die Abstrakte schon lange ziemlich deutlich vorgestellt hatten, ehe sie noch die bestimmten Wörter für sie besaßen. (Freilich mußte eine große neue Helligkeit mit der symbolischen Kenntniß in das Gebäude ihrer Begriffe gebracht werden.) So hatten sie gewiß Vorstellungen von Größe, Raum, Zeit, Kraft, Zahl, -- nur noch nicht ganz deutliche Vorstellungen, weil sie bei allen diesen Begriffen noch nicht so leicht die Menge von Jndividuen absondern konnten, deren Bilder sich in ihre Seele drängten, wenn sie sich das Abstraktum allein vorstellen wollten. Eben so übten sie gewiß schon die Tugenden der Gerechtigkeit, der Menschenliebe, der Wohlthätigkeit aus, ehe noch der abstrakte Name für jede Tugend vorhanden war.

Pokels.

(Die Fortsetzung folgt.)



angenommen haben, oder ob sie sich bei Annahme derselben nach gewissen vorherbestimmten Sprachgesetzen, nach einem vorhandenen Gefuͤhl von Harmonie oder Uebelklang des Worts fuͤr diese oder jene Tugend, oder nach andern Nebenumstaͤnden gerichtet haben. Dies sind Geheimnisse, die kein menschlicher Scharfsinn je ganz aufdecken wird.

Auch kann es nicht gelaͤugnet werden, daß die ersten Spracherfinder abstrakter Ausdruͤcke, sich die Abstrakte schon lange ziemlich deutlich vorgestellt hatten, ehe sie noch die bestimmten Woͤrter fuͤr sie besaßen. (Freilich mußte eine große neue Helligkeit mit der symbolischen Kenntniß in das Gebaͤude ihrer Begriffe gebracht werden.) So hatten sie gewiß Vorstellungen von Groͤße, Raum, Zeit, Kraft, Zahl, ― nur noch nicht ganz deutliche Vorstellungen, weil sie bei allen diesen Begriffen noch nicht so leicht die Menge von Jndividuen absondern konnten, deren Bilder sich in ihre Seele draͤngten, wenn sie sich das Abstraktum allein vorstellen wollten. Eben so uͤbten sie gewiß schon die Tugenden der Gerechtigkeit, der Menschenliebe, der Wohlthaͤtigkeit aus, ehe noch der abstrakte Name fuͤr jede Tugend vorhanden war.

Pokels.

(Die Fortsetzung folgt.)


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[102/0102] angenommen haben, oder ob sie sich bei Annahme derselben nach gewissen vorherbestimmten Sprachgesetzen, nach einem vorhandenen Gefuͤhl von Harmonie oder Uebelklang des Worts fuͤr diese oder jene Tugend, oder nach andern Nebenumstaͤnden gerichtet haben. Dies sind Geheimnisse, die kein menschlicher Scharfsinn je ganz aufdecken wird. Auch kann es nicht gelaͤugnet werden, daß die ersten Spracherfinder abstrakter Ausdruͤcke, sich die Abstrakte schon lange ziemlich deutlich vorgestellt hatten, ehe sie noch die bestimmten Woͤrter fuͤr sie besaßen. (Freilich mußte eine große neue Helligkeit mit der symbolischen Kenntniß in das Gebaͤude ihrer Begriffe gebracht werden.) So hatten sie gewiß Vorstellungen von Groͤße, Raum, Zeit, Kraft, Zahl, ― nur noch nicht ganz deutliche Vorstellungen, weil sie bei allen diesen Begriffen noch nicht so leicht die Menge von Jndividuen absondern konnten, deren Bilder sich in ihre Seele draͤngten, wenn sie sich das Abstraktum allein vorstellen wollten. Eben so uͤbten sie gewiß schon die Tugenden der Gerechtigkeit, der Menschenliebe, der Wohlthaͤtigkeit aus, ehe noch der abstrakte Name fuͤr jede Tugend vorhanden war. Pokels. (Die Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/102>, abgerufen am 27.04.2024.